vom Felsen hing, trat beständig zu kurz, während sein überlanger hagerer Begleiter jederzeit über sein Ziel hinausschritt. Dieser gab sich, zum Aerger des an¬ dern, das Ansehn ihm beizustehn, obgleich er selbst jeden Augenblick das Gleichgewicht verlor und so den Dicken erst recht mit in's Unglück brachte. Endlich konnten beide weder vor, noch zurück mehr, und be¬ gannen aus Leibeskräften um Hülfe zu schreien. Da erschallte vom höchsten Gipfel ein muthwilliges Lachen. Die Abendsonne warf unter der schwarzen Gewitter¬ wolke einen dunkelrothen Glanz über die ganze Ge¬ gend, und in der scharfen Beleuchtung erschien droben plötzlich eine schöne, hohe Mädchengestalt zu Pferde, ein grünsammtenes Jagdkleid umschloß die schlanken Glieder, lange weiße Federn wogten vom Barett über ihre Schultern hinab. Während ihr Pferd ungeduldig den Boden scharrte, betrachtete sie mit großen dunklen Augen die Erstaunten, die unwillkührlich die Unbe¬ kannte ehrfurchtsvoll begrüßten. Sie nickte mit dem schwarzgelockten Köpfchen kaum einen flüchtigen Dank, wandte sich dann rasch und war bald in den Abend¬ gluten wieder verschwunden.
Herrlich! riefen mehrere von der Gesellschaft aus. -- Bei Gott, sagte Lothario die Reiterin mit durchdringenden Blicken verfolgend, die haben gewiß heut wieder einmal ihren romantischen Tag! -- Unter¬ deß waren die Andern schon mit langen Stangen,
vom Felſen hing, trat beſtaͤndig zu kurz, waͤhrend ſein uͤberlanger hagerer Begleiter jederzeit uͤber ſein Ziel hinausſchritt. Dieſer gab ſich, zum Aerger des an¬ dern, das Anſehn ihm beizuſtehn, obgleich er ſelbſt jeden Augenblick das Gleichgewicht verlor und ſo den Dicken erſt recht mit in's Ungluͤck brachte. Endlich konnten beide weder vor, noch zuruͤck mehr, und be¬ gannen aus Leibeskraͤften um Huͤlfe zu ſchreien. Da erſchallte vom hoͤchſten Gipfel ein muthwilliges Lachen. Die Abendſonne warf unter der ſchwarzen Gewitter¬ wolke einen dunkelrothen Glanz uͤber die ganze Ge¬ gend, und in der ſcharfen Beleuchtung erſchien droben ploͤtzlich eine ſchoͤne, hohe Maͤdchengeſtalt zu Pferde, ein gruͤnſammtenes Jagdkleid umſchloß die ſchlanken Glieder, lange weiße Federn wogten vom Barett uͤber ihre Schultern hinab. Waͤhrend ihr Pferd ungeduldig den Boden ſcharrte, betrachtete ſie mit großen dunklen Augen die Erſtaunten, die unwillkuͤhrlich die Unbe¬ kannte ehrfurchtsvoll begruͤßten. Sie nickte mit dem ſchwarzgelockten Koͤpfchen kaum einen fluͤchtigen Dank, wandte ſich dann raſch und war bald in den Abend¬ gluten wieder verſchwunden.
Herrlich! riefen mehrere von der Geſellſchaft aus. — Bei Gott, ſagte Lothario die Reiterin mit durchdringenden Blicken verfolgend, die haben gewiß heut wieder einmal ihren romantiſchen Tag! — Unter¬ deß waren die Andern ſchon mit langen Stangen,
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vom Felſen hing, trat beſtaͤndig zu kurz, waͤhrend ſein
uͤberlanger hagerer Begleiter jederzeit uͤber ſein Ziel
hinausſchritt. Dieſer gab ſich, zum Aerger des an¬
dern, das Anſehn ihm beizuſtehn, obgleich er ſelbſt
jeden Augenblick das Gleichgewicht verlor und ſo den
Dicken erſt recht mit in's Ungluͤck brachte. Endlich
konnten beide weder vor, noch zuruͤck mehr, und be¬
gannen aus Leibeskraͤften um Huͤlfe zu ſchreien. Da
erſchallte vom hoͤchſten Gipfel ein muthwilliges Lachen.
Die Abendſonne warf unter der ſchwarzen Gewitter¬
wolke einen dunkelrothen Glanz uͤber die ganze Ge¬
gend, und in der ſcharfen Beleuchtung erſchien droben
ploͤtzlich eine ſchoͤne, hohe Maͤdchengeſtalt zu Pferde,
ein gruͤnſammtenes Jagdkleid umſchloß die ſchlanken
Glieder, lange weiße Federn wogten vom Barett uͤber
ihre Schultern hinab. Waͤhrend ihr Pferd ungeduldig
den Boden ſcharrte, betrachtete ſie mit großen dunklen
Augen die Erſtaunten, die unwillkuͤhrlich die Unbe¬
kannte ehrfurchtsvoll begruͤßten. Sie nickte mit dem
ſchwarzgelockten Koͤpfchen kaum einen fluͤchtigen Dank,
wandte ſich dann raſch und war bald in den Abend¬
gluten wieder verſchwunden.
Herrlich! riefen mehrere von der Geſellſchaft
aus. — Bei Gott, ſagte Lothario die Reiterin mit
durchdringenden Blicken verfolgend, die haben gewiß
heut wieder einmal ihren romantiſchen Tag! — Unter¬
deß waren die Andern ſchon mit langen Stangen,
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/91>, abgerufen am 22.11.2024.
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