Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

alles wird mir wieder lebendig hier auf den kühlen
Waldbergen, wie ich den Amtmann zwischen den Korn¬
feldern wandern sehe und Florentinen bald oben am
Fenster beim ersten Morgenlicht singend und ihre Haare
flechtend und sich streckend und putzend um die Wette
mit den erwachenden Vögeln in den Bäumen vor dem
Hause, bald wieder im Garten über einer französischen
Grammaire eingeschlafen, die Walter ihr gegeben, um
sich für das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber
hat Fortunat, der seine Abreise von einem Tage zum
andern verschiebt, sich behaglich im Garten eingerichtet.
Im Grün zwischen hohen Blumen, die weite Land¬
schaft unter sich, und über ihm die rauschenden Wipfel,
setzt er sich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an
dem steinernen Fußgestell eines etwas verwitterten Apol¬
lo's zurecht, um einige Novellen, die er in glücklichen
Reisestunden auf seinem Pferde ersonnen, endlich ein¬
mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da
geht es ihm wunderlich. Der lustige Morgenwind
wirft ihm die Blätter ins Gras, wo sich die Hühner
drum raufen, hinter ihm aber stimmen die Wipfel ihr
uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt,
die Waldvögel singen ganz fremde Noten dazwischen
und Wolken fliegen über das Land und rufen ihm zu:
Menschenkind, sei doch kein Narr! Und zog dann gar
der Förster unten zur Jagd, und schwenkte seinen Hut,
und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und

alles wird mir wieder lebendig hier auf den kuͤhlen
Waldbergen, wie ich den Amtmann zwiſchen den Korn¬
feldern wandern ſehe und Florentinen bald oben am
Fenſter beim erſten Morgenlicht ſingend und ihre Haare
flechtend und ſich ſtreckend und putzend um die Wette
mit den erwachenden Voͤgeln in den Baͤumen vor dem
Hauſe, bald wieder im Garten uͤber einer franzoͤſiſchen
Grammaire eingeſchlafen, die Walter ihr gegeben, um
ſich fuͤr das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber
hat Fortunat, der ſeine Abreiſe von einem Tage zum
andern verſchiebt, ſich behaglich im Garten eingerichtet.
Im Gruͤn zwiſchen hohen Blumen, die weite Land¬
ſchaft unter ſich, und uͤber ihm die rauſchenden Wipfel,
ſetzt er ſich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an
dem ſteinernen Fußgeſtell eines etwas verwitterten Apol¬
lo's zurecht, um einige Novellen, die er in gluͤcklichen
Reiſeſtunden auf ſeinem Pferde erſonnen, endlich ein¬
mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da
geht es ihm wunderlich. Der luſtige Morgenwind
wirft ihm die Blaͤtter ins Gras, wo ſich die Huͤhner
drum raufen, hinter ihm aber ſtimmen die Wipfel ihr
uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt,
die Waldvoͤgel ſingen ganz fremde Noten dazwiſchen
und Wolken fliegen uͤber das Land und rufen ihm zu:
Menſchenkind, ſei doch kein Narr! Und zog dann gar
der Foͤrſter unten zur Jagd, und ſchwenkte ſeinen Hut,
und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="39"/>
alles wird mir wieder lebendig hier auf den ku&#x0364;hlen<lb/>
Waldbergen, wie ich den Amtmann zwi&#x017F;chen den Korn¬<lb/>
feldern wandern &#x017F;ehe und Florentinen bald oben am<lb/>
Fen&#x017F;ter beim er&#x017F;ten Morgenlicht &#x017F;ingend und ihre Haare<lb/>
flechtend und &#x017F;ich &#x017F;treckend und putzend um die Wette<lb/>
mit den erwachenden Vo&#x0364;geln in den Ba&#x0364;umen vor dem<lb/>
Hau&#x017F;e, bald wieder im Garten u&#x0364;ber einer franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Grammaire einge&#x017F;chlafen, die Walter ihr gegeben, um<lb/>
&#x017F;ich fu&#x0364;r das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber<lb/>
hat Fortunat, der &#x017F;eine Abrei&#x017F;e von einem Tage zum<lb/>
andern ver&#x017F;chiebt, &#x017F;ich behaglich im Garten eingerichtet.<lb/>
Im Gru&#x0364;n zwi&#x017F;chen hohen Blumen, die weite Land¬<lb/>
&#x017F;chaft unter &#x017F;ich, und u&#x0364;ber ihm die rau&#x017F;chenden Wipfel,<lb/>
&#x017F;etzt er &#x017F;ich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an<lb/>
dem &#x017F;teinernen Fußge&#x017F;tell eines etwas verwitterten Apol¬<lb/>
lo's zurecht, um einige Novellen, die er in glu&#x0364;cklichen<lb/>
Rei&#x017F;e&#x017F;tunden auf &#x017F;einem Pferde er&#x017F;onnen, endlich ein¬<lb/>
mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da<lb/>
geht es ihm wunderlich. Der lu&#x017F;tige Morgenwind<lb/>
wirft ihm die Bla&#x0364;tter ins Gras, wo &#x017F;ich die Hu&#x0364;hner<lb/>
drum raufen, hinter ihm aber &#x017F;timmen die Wipfel ihr<lb/>
uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt,<lb/>
die Waldvo&#x0364;gel &#x017F;ingen ganz fremde Noten dazwi&#x017F;chen<lb/>
und Wolken fliegen u&#x0364;ber das Land und rufen ihm zu:<lb/>
Men&#x017F;chenkind, &#x017F;ei doch kein Narr! Und zog dann gar<lb/>
der Fo&#x0364;r&#x017F;ter unten zur Jagd, und &#x017F;chwenkte &#x017F;einen Hut,<lb/>
und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0046] alles wird mir wieder lebendig hier auf den kuͤhlen Waldbergen, wie ich den Amtmann zwiſchen den Korn¬ feldern wandern ſehe und Florentinen bald oben am Fenſter beim erſten Morgenlicht ſingend und ihre Haare flechtend und ſich ſtreckend und putzend um die Wette mit den erwachenden Voͤgeln in den Baͤumen vor dem Hauſe, bald wieder im Garten uͤber einer franzoͤſiſchen Grammaire eingeſchlafen, die Walter ihr gegeben, um ſich fuͤr das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber hat Fortunat, der ſeine Abreiſe von einem Tage zum andern verſchiebt, ſich behaglich im Garten eingerichtet. Im Gruͤn zwiſchen hohen Blumen, die weite Land¬ ſchaft unter ſich, und uͤber ihm die rauſchenden Wipfel, ſetzt er ſich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an dem ſteinernen Fußgeſtell eines etwas verwitterten Apol¬ lo's zurecht, um einige Novellen, die er in gluͤcklichen Reiſeſtunden auf ſeinem Pferde erſonnen, endlich ein¬ mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da geht es ihm wunderlich. Der luſtige Morgenwind wirft ihm die Blaͤtter ins Gras, wo ſich die Huͤhner drum raufen, hinter ihm aber ſtimmen die Wipfel ihr uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt, die Waldvoͤgel ſingen ganz fremde Noten dazwiſchen und Wolken fliegen uͤber das Land und rufen ihm zu: Menſchenkind, ſei doch kein Narr! Und zog dann gar der Foͤrſter unten zur Jagd, und ſchwenkte ſeinen Hut, und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/46
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/46>, abgerufen am 21.11.2024.