und lachte und schimpfte und ritt immer schneller fort, bis er zuletzt mit Entsetzen bemerkte, daß ein Unwet¬ ter rasch im Anzuge war, um die Verwirrung voll¬ kommen zu machen. Schon durchkreuzten Möwen mit ihren weißen spitzigen Flügeln pfeilschnell die schwüle Stille. Vergeblich blickte er nach einem Obdach um¬ her, nicht einmal der Klang einer Holzaxt ließ sich im Walde vernehmen. Nur einzelne Nebelgestalten stiegen nun langsam aus den Klüften empor, und setzten sich mit ihren langen, grauen Gewändern in die Wipfel der Tannen, über dem Berge vor ihm aber hatte das Gewitter allmählich sein bleifarbenes Dunkel ausge¬ breitet, in das die Mauerspitzen einer Ruine fast grauenhaft hineinragten. --
Indem er noch so zögernd stand und unentschlossen, wohin er sich wenden sollte, hörte er auf einmal den Schall einer Glocke weit aus der Höhe herüberklingen. O du göttlicher Aberglaube! rief er freudig aus, was sind alle Blitzableiter der Welt gegen diesen tröstlichen Klang, der wie ein singender Engel mit gefalteten Händen über die Wälder zieht und die Wetter wendet. Ja, die Erde ist noch immer voll schöner Wunder, wir beachten sie nur nicht mehr! -- Er folgte nun eilig den Klängen, die bald schwächer, bald deutlicher durch den Gewitterwind von dem Berge herabzukommen schienen, wo er vorhin die Ruine erblickt. Ein wild¬ verwachsener, wenig betretener Fußsteig schlang sich
und lachte und ſchimpfte und ritt immer ſchneller fort, bis er zuletzt mit Entſetzen bemerkte, daß ein Unwet¬ ter raſch im Anzuge war, um die Verwirrung voll¬ kommen zu machen. Schon durchkreuzten Moͤwen mit ihren weißen ſpitzigen Fluͤgeln pfeilſchnell die ſchwuͤle Stille. Vergeblich blickte er nach einem Obdach um¬ her, nicht einmal der Klang einer Holzaxt ließ ſich im Walde vernehmen. Nur einzelne Nebelgeſtalten ſtiegen nun langſam aus den Kluͤften empor, und ſetzten ſich mit ihren langen, grauen Gewaͤndern in die Wipfel der Tannen, uͤber dem Berge vor ihm aber hatte das Gewitter allmaͤhlich ſein bleifarbenes Dunkel ausge¬ breitet, in das die Mauerſpitzen einer Ruine faſt grauenhaft hineinragten. —
Indem er noch ſo zoͤgernd ſtand und unentſchloſſen, wohin er ſich wenden ſollte, hoͤrte er auf einmal den Schall einer Glocke weit aus der Hoͤhe heruͤberklingen. O du goͤttlicher Aberglaube! rief er freudig aus, was ſind alle Blitzableiter der Welt gegen dieſen troͤſtlichen Klang, der wie ein ſingender Engel mit gefalteten Haͤnden uͤber die Waͤlder zieht und die Wetter wendet. Ja, die Erde iſt noch immer voll ſchoͤner Wunder, wir beachten ſie nur nicht mehr! — Er folgte nun eilig den Klaͤngen, die bald ſchwaͤcher, bald deutlicher durch den Gewitterwind von dem Berge herabzukommen ſchienen, wo er vorhin die Ruine erblickt. Ein wild¬ verwachſener, wenig betretener Fußſteig ſchlang ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0363"n="356"/>
und lachte und ſchimpfte und ritt immer ſchneller fort,<lb/>
bis er zuletzt mit Entſetzen bemerkte, daß ein Unwet¬<lb/>
ter raſch im Anzuge war, um die Verwirrung voll¬<lb/>
kommen zu machen. Schon durchkreuzten Moͤwen mit<lb/>
ihren weißen ſpitzigen Fluͤgeln pfeilſchnell die ſchwuͤle<lb/>
Stille. Vergeblich blickte er nach einem Obdach um¬<lb/>
her, nicht einmal der Klang einer Holzaxt ließ ſich im<lb/>
Walde vernehmen. Nur einzelne Nebelgeſtalten ſtiegen<lb/>
nun langſam aus den Kluͤften empor, und ſetzten ſich<lb/>
mit ihren langen, grauen Gewaͤndern in die Wipfel<lb/>
der Tannen, uͤber dem Berge vor ihm aber hatte das<lb/>
Gewitter allmaͤhlich ſein bleifarbenes Dunkel ausge¬<lb/>
breitet, in das die Mauerſpitzen einer Ruine faſt<lb/>
grauenhaft hineinragten. —</p><lb/><p>Indem er noch ſo zoͤgernd ſtand und unentſchloſſen,<lb/>
wohin er ſich wenden ſollte, hoͤrte er auf einmal den<lb/>
Schall einer Glocke weit aus der Hoͤhe heruͤberklingen.<lb/>
O du goͤttlicher Aberglaube! rief er freudig aus, was<lb/>ſind alle Blitzableiter der Welt gegen dieſen troͤſtlichen<lb/>
Klang, der wie ein ſingender Engel mit gefalteten<lb/>
Haͤnden uͤber die Waͤlder zieht und die Wetter wendet.<lb/>
Ja, die Erde iſt noch immer voll ſchoͤner Wunder, wir<lb/>
beachten ſie nur nicht mehr! — Er folgte nun eilig<lb/>
den Klaͤngen, die bald ſchwaͤcher, bald deutlicher durch<lb/>
den Gewitterwind von dem Berge herabzukommen<lb/>ſchienen, wo er vorhin die Ruine erblickt. Ein wild¬<lb/>
verwachſener, wenig betretener Fußſteig ſchlang ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[356/0363]
und lachte und ſchimpfte und ritt immer ſchneller fort,
bis er zuletzt mit Entſetzen bemerkte, daß ein Unwet¬
ter raſch im Anzuge war, um die Verwirrung voll¬
kommen zu machen. Schon durchkreuzten Moͤwen mit
ihren weißen ſpitzigen Fluͤgeln pfeilſchnell die ſchwuͤle
Stille. Vergeblich blickte er nach einem Obdach um¬
her, nicht einmal der Klang einer Holzaxt ließ ſich im
Walde vernehmen. Nur einzelne Nebelgeſtalten ſtiegen
nun langſam aus den Kluͤften empor, und ſetzten ſich
mit ihren langen, grauen Gewaͤndern in die Wipfel
der Tannen, uͤber dem Berge vor ihm aber hatte das
Gewitter allmaͤhlich ſein bleifarbenes Dunkel ausge¬
breitet, in das die Mauerſpitzen einer Ruine faſt
grauenhaft hineinragten. —
Indem er noch ſo zoͤgernd ſtand und unentſchloſſen,
wohin er ſich wenden ſollte, hoͤrte er auf einmal den
Schall einer Glocke weit aus der Hoͤhe heruͤberklingen.
O du goͤttlicher Aberglaube! rief er freudig aus, was
ſind alle Blitzableiter der Welt gegen dieſen troͤſtlichen
Klang, der wie ein ſingender Engel mit gefalteten
Haͤnden uͤber die Waͤlder zieht und die Wetter wendet.
Ja, die Erde iſt noch immer voll ſchoͤner Wunder, wir
beachten ſie nur nicht mehr! — Er folgte nun eilig
den Klaͤngen, die bald ſchwaͤcher, bald deutlicher durch
den Gewitterwind von dem Berge herabzukommen
ſchienen, wo er vorhin die Ruine erblickt. Ein wild¬
verwachſener, wenig betretener Fußſteig ſchlang ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/363>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.