Kammer am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt. Da fiel es ihm erst ein, daß er den Apfel, den er damals aus dem Sacke mitgenommen, noch immer in Tasche hatte. Er nahm ihn heraus und biß vor Schwermuth drein, um ihn aufzuessen. Da schreit auf einmal etwas drinn, und ein Köpfchen streckt und zwingt sich hervor, und wie er endlich verwundert den Apfel aufbricht, steigt ein kleines, braunes Kerlchen mit Wanderstab und Tasche aus dem Kernhaus. -- Wer bist du? -- Der Aepfelmann. Adieu! -- Das Männchen ging über den Tisch fort, blieb aber plötz¬ lich am Rande stehen, weil er nicht herunterkonnte. -- Ich will dir wohl herunterhelfen, du armer Wicht, sagte Kasperl, aber du mußt mir dagegen etwas ver¬ sprechen. Kannst du mich zu der Göttin Luna füh¬ ren? -- Warum nicht? erwiederte das Kerlchen. Da nahm er es sauber zwischen die Finger und setzte es draußen auf den Rasen. Nun traten sie sogleich ihre Wanderschaft an. Der Kleine hinkte, denn Kasperl hatte ihn vorhin im Apfel in die große Zehe gebissen. Kaum aber waren sie weiter in die Haide gekommen, so humpelte das Kerlchen so ungeheuer fix fort, wie ein Grashüpfer, und lachte und rief immer zurück: komm mir doch nach, komm mir doch nach, hast ja so lange Beine! und ehe sich's Kasperl versah, hatt' er das Kerlchen in dem hohen Grase verloren. Da war er nun wieder so klug wie vorher. -- Es war aber
Kammer am Tiſch, den Kopf in die Hand geſtuͤtzt. Da fiel es ihm erſt ein, daß er den Apfel, den er damals aus dem Sacke mitgenommen, noch immer in Taſche hatte. Er nahm ihn heraus und biß vor Schwermuth drein, um ihn aufzueſſen. Da ſchreit auf einmal etwas drinn, und ein Koͤpfchen ſtreckt und zwingt ſich hervor, und wie er endlich verwundert den Apfel aufbricht, ſteigt ein kleines, braunes Kerlchen mit Wanderſtab und Taſche aus dem Kernhaus. — Wer biſt du? — Der Aepfelmann. Adieu! — Das Maͤnnchen ging uͤber den Tiſch fort, blieb aber ploͤtz¬ lich am Rande ſtehen, weil er nicht herunterkonnte. — Ich will dir wohl herunterhelfen, du armer Wicht, ſagte Kasperl, aber du mußt mir dagegen etwas ver¬ ſprechen. Kannſt du mich zu der Goͤttin Luna fuͤh¬ ren? — Warum nicht? erwiederte das Kerlchen. Da nahm er es ſauber zwiſchen die Finger und ſetzte es draußen auf den Raſen. Nun traten ſie ſogleich ihre Wanderſchaft an. Der Kleine hinkte, denn Kasperl hatte ihn vorhin im Apfel in die große Zehe gebiſſen. Kaum aber waren ſie weiter in die Haide gekommen, ſo humpelte das Kerlchen ſo ungeheuer fix fort, wie ein Grashuͤpfer, und lachte und rief immer zuruͤck: komm mir doch nach, komm mir doch nach, haſt ja ſo lange Beine! und ehe ſich's Kasperl verſah, hatt' er das Kerlchen in dem hohen Graſe verloren. Da war er nun wieder ſo klug wie vorher. — Es war aber
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Kammer am Tiſch, den Kopf in die Hand geſtuͤtzt.
Da fiel es ihm erſt ein, daß er den Apfel, den er
damals aus dem Sacke mitgenommen, noch immer in
Taſche hatte. Er nahm ihn heraus und biß vor
Schwermuth drein, um ihn aufzueſſen. Da ſchreit
auf einmal etwas drinn, und ein Koͤpfchen ſtreckt und
zwingt ſich hervor, und wie er endlich verwundert den
Apfel aufbricht, ſteigt ein kleines, braunes Kerlchen
mit Wanderſtab und Taſche aus dem Kernhaus. —
Wer biſt du? — Der Aepfelmann. Adieu! — Das
Maͤnnchen ging uͤber den Tiſch fort, blieb aber ploͤtz¬
lich am Rande ſtehen, weil er nicht herunterkonnte. —
Ich will dir wohl herunterhelfen, du armer Wicht,
ſagte Kasperl, aber du mußt mir dagegen etwas ver¬
ſprechen. Kannſt du mich zu der Goͤttin Luna fuͤh¬
ren? — Warum nicht? erwiederte das Kerlchen. Da
nahm er es ſauber zwiſchen die Finger und ſetzte es
draußen auf den Raſen. Nun traten ſie ſogleich ihre
Wanderſchaft an. Der Kleine hinkte, denn Kasperl
hatte ihn vorhin im Apfel in die große Zehe gebiſſen.
Kaum aber waren ſie weiter in die Haide gekommen,
ſo humpelte das Kerlchen ſo ungeheuer fix fort, wie
ein Grashuͤpfer, und lachte und rief immer zuruͤck:
komm mir doch nach, komm mir doch nach, haſt ja
ſo lange Beine! und ehe ſich's Kasperl verſah, hatt' er
das Kerlchen in dem hohen Graſe verloren. Da war
er nun wieder ſo klug wie vorher. — Es war aber
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/340>, abgerufen am 22.11.2024.
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