Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sicht zu sitzen, mit den Beinen über dem Abgrunde
baumelnd, bis ihm die ersten dicken Regentropfen an
die seidenen Strümpfe klatschten. -- Es freut mich --
erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬
derbaren Grundes versunken, die letzten Worte fast
überhört hatte -- es freut mich recht, daß Sie Vic¬
tors poetische Erscheinung so hoch halten.

Der Begleiter sah ihn aus den schönen Augen
scharf und zweifelhaft an. -- Ich bedaure ihn aufrich¬
tig, sagte er dann, denn ich halte die Anstellung als
Genie für eine der epinösesten in der Welt. Ein An¬
derer stopft sich seine Pfeife, zieht seinen Schlafrock an,
setzt sich auf dem Schreibesel zurecht, und macht seine
Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Ressource,
wo er wieder ganz Mensch seyn kann. Aber so ein
Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht
los werden; wie ein Spaziergänger, der im Herbst über
Feld gegangen, schleppt er die Sommerfäden seiner
Träume an Hut und Aermeln bis auf die Ressource
nach. Ist dort gar das Fenster offen, so sind die
Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie versessen
auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬
weilen spielt ihm seine kaum halbfertig gedichtete Ge¬
liebte den fatalen Streich, und blickt ihn plötzlich aus
den Augen irgend einer albernen Dame an. -- Hier
stand er plötzlich selber überrascht still. Sie waren in
das Felsenthal hinabgestiegen, und an einen einsamen

ſicht zu ſitzen, mit den Beinen uͤber dem Abgrunde
baumelnd, bis ihm die erſten dicken Regentropfen an
die ſeidenen Struͤmpfe klatſchten. — Es freut mich —
erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬
derbaren Grundes verſunken, die letzten Worte faſt
uͤberhoͤrt hatte — es freut mich recht, daß Sie Vic¬
tors poetiſche Erſcheinung ſo hoch halten.

Der Begleiter ſah ihn aus den ſchoͤnen Augen
ſcharf und zweifelhaft an. — Ich bedaure ihn aufrich¬
tig, ſagte er dann, denn ich halte die Anſtellung als
Genie fuͤr eine der epinoͤſeſten in der Welt. Ein An¬
derer ſtopft ſich ſeine Pfeife, zieht ſeinen Schlafrock an,
ſetzt ſich auf dem Schreibeſel zurecht, und macht ſeine
Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Reſſource,
wo er wieder ganz Menſch ſeyn kann. Aber ſo ein
Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht
los werden; wie ein Spaziergaͤnger, der im Herbſt uͤber
Feld gegangen, ſchleppt er die Sommerfaͤden ſeiner
Traͤume an Hut und Aermeln bis auf die Reſſource
nach. Iſt dort gar das Fenſter offen, ſo ſind die
Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie verſeſſen
auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬
weilen ſpielt ihm ſeine kaum halbfertig gedichtete Ge¬
liebte den fatalen Streich, und blickt ihn ploͤtzlich aus
den Augen irgend einer albernen Dame an. — Hier
ſtand er ploͤtzlich ſelber uͤberraſcht ſtill. Sie waren in
das Felſenthal hinabgeſtiegen, und an einen einſamen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="26"/>
&#x017F;icht zu &#x017F;itzen, mit den Beinen u&#x0364;ber dem Abgrunde<lb/>
baumelnd, bis ihm die er&#x017F;ten dicken Regentropfen an<lb/>
die &#x017F;eidenen Stru&#x0364;mpfe klat&#x017F;chten. &#x2014; Es freut mich &#x2014;<lb/>
erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬<lb/>
derbaren Grundes ver&#x017F;unken, die letzten Worte fa&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;berho&#x0364;rt hatte &#x2014; es freut mich recht, daß Sie Vic¬<lb/>
tors poeti&#x017F;che Er&#x017F;cheinung &#x017F;o hoch halten.</p><lb/>
          <p>Der Begleiter &#x017F;ah ihn aus den &#x017F;cho&#x0364;nen Augen<lb/>
&#x017F;charf und zweifelhaft an. &#x2014; Ich bedaure ihn aufrich¬<lb/>
tig, &#x017F;agte er dann, denn ich halte die An&#x017F;tellung als<lb/>
Genie fu&#x0364;r eine der epino&#x0364;&#x017F;e&#x017F;ten in der Welt. Ein An¬<lb/>
derer &#x017F;topft &#x017F;ich &#x017F;eine Pfeife, zieht &#x017F;einen Schlafrock an,<lb/>
&#x017F;etzt &#x017F;ich auf dem Schreibe&#x017F;el zurecht, und macht &#x017F;eine<lb/>
Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Re&#x017F;&#x017F;ource,<lb/>
wo er wieder ganz Men&#x017F;ch &#x017F;eyn kann. Aber &#x017F;o ein<lb/>
Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht<lb/>
los werden; wie ein Spazierga&#x0364;nger, der im Herb&#x017F;t u&#x0364;ber<lb/>
Feld gegangen, &#x017F;chleppt er die Sommerfa&#x0364;den &#x017F;einer<lb/>
Tra&#x0364;ume an Hut und Aermeln bis auf die Re&#x017F;&#x017F;ource<lb/>
nach. I&#x017F;t dort gar das Fen&#x017F;ter offen, &#x017F;o &#x017F;ind die<lb/>
Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie ver&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬<lb/>
weilen &#x017F;pielt ihm &#x017F;eine kaum halbfertig gedichtete Ge¬<lb/>
liebte den fatalen Streich, und blickt ihn plo&#x0364;tzlich aus<lb/>
den Augen irgend einer albernen Dame an. &#x2014; Hier<lb/>
&#x017F;tand er plo&#x0364;tzlich &#x017F;elber u&#x0364;berra&#x017F;cht &#x017F;till. Sie waren in<lb/>
das Fel&#x017F;enthal hinabge&#x017F;tiegen, und an einen ein&#x017F;amen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0033] ſicht zu ſitzen, mit den Beinen uͤber dem Abgrunde baumelnd, bis ihm die erſten dicken Regentropfen an die ſeidenen Struͤmpfe klatſchten. — Es freut mich — erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬ derbaren Grundes verſunken, die letzten Worte faſt uͤberhoͤrt hatte — es freut mich recht, daß Sie Vic¬ tors poetiſche Erſcheinung ſo hoch halten. Der Begleiter ſah ihn aus den ſchoͤnen Augen ſcharf und zweifelhaft an. — Ich bedaure ihn aufrich¬ tig, ſagte er dann, denn ich halte die Anſtellung als Genie fuͤr eine der epinoͤſeſten in der Welt. Ein An¬ derer ſtopft ſich ſeine Pfeife, zieht ſeinen Schlafrock an, ſetzt ſich auf dem Schreibeſel zurecht, und macht ſeine Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Reſſource, wo er wieder ganz Menſch ſeyn kann. Aber ſo ein Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht los werden; wie ein Spaziergaͤnger, der im Herbſt uͤber Feld gegangen, ſchleppt er die Sommerfaͤden ſeiner Traͤume an Hut und Aermeln bis auf die Reſſource nach. Iſt dort gar das Fenſter offen, ſo ſind die Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie verſeſſen auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬ weilen ſpielt ihm ſeine kaum halbfertig gedichtete Ge¬ liebte den fatalen Streich, und blickt ihn ploͤtzlich aus den Augen irgend einer albernen Dame an. — Hier ſtand er ploͤtzlich ſelber uͤberraſcht ſtill. Sie waren in das Felſenthal hinabgeſtiegen, und an einen einſamen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/33
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/33>, abgerufen am 23.11.2024.