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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

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Zu Hause aber schnürte er hastig sein Reisebün¬
del; noch denselben Abend, ungeachtet der Vorstellun¬
gen der besorgten Alten, verließ er die Stadt.


Der Eilwagen rollte auf der glänzenden Straße
in die schöne Sommernacht hinaus, der Postillon knallte
lustig, daß es weit über die stillen Felder schallte. Vorn
im Kabriolet plauderte ein Knabe, der zum erstenmal
von Hause fuhr, munter mit dem Konducteur, dann
sah er wieder lange stumm in die Gegend, wie da die
dunklen Schatten der Pappeln und seitwärts Büsche,
Wälder und Dörfer im Mondschein vorüberflogen, und
wenn das Posthorn erklang, stiegen allmählig prächtige
Schlösser und wunderbare Gärten und Gebirge mit
Wasserfällen in der dämmernden Ferne vor ihm auf.
Dann dachte er nach Hause, wie die Seinigen jetzt
alle ruhig schlafen, der Mond scheint durchs Fenster
über die Bilder an der Wand, nur eine Fliege summt
tönend durch die stille Stube -- da kam er sich auf
einmal so verlassen vor hier draußen, und doch so tap¬
fer und frei in der Fremde. -- So reisefrisch war
auch Otto'n früher gar manche schöne Frühlingsnacht
zu Muthe gewesen, heute saß er still vor sich hinbrü¬
tend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einför¬
migen schlaftrunkenen Rasseln, als ging es immerfort
bergunter, unaufhaltsam einem unbekannten Abgrunde

Zu Hauſe aber ſchnuͤrte er haſtig ſein Reiſebuͤn¬
del; noch denſelben Abend, ungeachtet der Vorſtellun¬
gen der beſorgten Alten, verließ er die Stadt.


Der Eilwagen rollte auf der glaͤnzenden Straße
in die ſchoͤne Sommernacht hinaus, der Poſtillon knallte
luſtig, daß es weit uͤber die ſtillen Felder ſchallte. Vorn
im Kabriolet plauderte ein Knabe, der zum erſtenmal
von Hauſe fuhr, munter mit dem Konducteur, dann
ſah er wieder lange ſtumm in die Gegend, wie da die
dunklen Schatten der Pappeln und ſeitwaͤrts Buͤſche,
Waͤlder und Doͤrfer im Mondſchein voruͤberflogen, und
wenn das Poſthorn erklang, ſtiegen allmaͤhlig praͤchtige
Schloͤſſer und wunderbare Gaͤrten und Gebirge mit
Waſſerfaͤllen in der daͤmmernden Ferne vor ihm auf.
Dann dachte er nach Hauſe, wie die Seinigen jetzt
alle ruhig ſchlafen, der Mond ſcheint durchs Fenſter
uͤber die Bilder an der Wand, nur eine Fliege ſummt
toͤnend durch die ſtille Stube — da kam er ſich auf
einmal ſo verlaſſen vor hier draußen, und doch ſo tap¬
fer und frei in der Fremde. — So reiſefriſch war
auch Otto'n fruͤher gar manche ſchoͤne Fruͤhlingsnacht
zu Muthe geweſen, heute ſaß er ſtill vor ſich hinbruͤ¬
tend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einfoͤr¬
migen ſchlaftrunkenen Raſſeln, als ging es immerfort
bergunter, unaufhaltſam einem unbekannten Abgrunde

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[319/0326] Zu Hauſe aber ſchnuͤrte er haſtig ſein Reiſebuͤn¬ del; noch denſelben Abend, ungeachtet der Vorſtellun¬ gen der beſorgten Alten, verließ er die Stadt. Der Eilwagen rollte auf der glaͤnzenden Straße in die ſchoͤne Sommernacht hinaus, der Poſtillon knallte luſtig, daß es weit uͤber die ſtillen Felder ſchallte. Vorn im Kabriolet plauderte ein Knabe, der zum erſtenmal von Hauſe fuhr, munter mit dem Konducteur, dann ſah er wieder lange ſtumm in die Gegend, wie da die dunklen Schatten der Pappeln und ſeitwaͤrts Buͤſche, Waͤlder und Doͤrfer im Mondſchein voruͤberflogen, und wenn das Poſthorn erklang, ſtiegen allmaͤhlig praͤchtige Schloͤſſer und wunderbare Gaͤrten und Gebirge mit Waſſerfaͤllen in der daͤmmernden Ferne vor ihm auf. Dann dachte er nach Hauſe, wie die Seinigen jetzt alle ruhig ſchlafen, der Mond ſcheint durchs Fenſter uͤber die Bilder an der Wand, nur eine Fliege ſummt toͤnend durch die ſtille Stube — da kam er ſich auf einmal ſo verlaſſen vor hier draußen, und doch ſo tap¬ fer und frei in der Fremde. — So reiſefriſch war auch Otto'n fruͤher gar manche ſchoͤne Fruͤhlingsnacht zu Muthe geweſen, heute ſaß er ſtill vor ſich hinbruͤ¬ tend im dunklen Wagen, es war ihm bei dem einfoͤr¬ migen ſchlaftrunkenen Raſſeln, als ging es immerfort bergunter, unaufhaltſam einem unbekannten Abgrunde

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/326>, abgerufen am 18.05.2024.