ganze Straßen ein Paar seltsamen Männergestalten, deren römische Nasen und ausdrucksvolle Gebährden ihm eben besonders auffielen, und wenn er dann er¬ müdet von dem müßigen Umherschlendern zurückkehrte, mußte er sich dennoch eingestehen, daß er in der kurzen Zeit mehr gesehen und erfahren hatte, als sein gedruck¬ ter Führer sich träumen ließ.
Auf einem solchen Streifzuge hatte er sich eines Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gassen ver¬ irrt, die Bewohner saßen plaudernd vor den Thüren, schöne, halbnackte Kinder spielten und lärmten in dem Abendschimmer. Da hörte er unerwartet weiterhin ein lautes Gezänk in deutscher Sprache herüberschallen und eilte neugierig dem Hause zu, woher der Lärm kam. Auf einmal sprang die Hausthür hastig auf, und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann kam so unsanft herausgeflogen, daß er den Hut vom Kopf verlor. Mein Gott! du, Grundling! rief Fortunat überrascht aus -- es war der deutsche Rei¬ sende, der ihm die Wohnung in dem Palast besorgt hatte. -- Da bist du ja wie gerufen, sagte dieser ganz ruhig seinen Hut abstaubend, ich will dich so¬ gleich bei Landsleuten einführen. Hiermit versuchte er den Drücker der Thür, fand sie aber hinter sich ver¬ schlossen. Hat nichts zu sagen, meinte er nun, winkte Fortunaten und führte den Erstaunten in das leer¬ stehende Nebenhaus, im Dunkeln vorsichtig tappend,
ganze Straßen ein Paar ſeltſamen Maͤnnergeſtalten, deren roͤmiſche Naſen und ausdrucksvolle Gebaͤhrden ihm eben beſonders auffielen, und wenn er dann er¬ muͤdet von dem muͤßigen Umherſchlendern zuruͤckkehrte, mußte er ſich dennoch eingeſtehen, daß er in der kurzen Zeit mehr geſehen und erfahren hatte, als ſein gedruck¬ ter Fuͤhrer ſich traͤumen ließ.
Auf einem ſolchen Streifzuge hatte er ſich eines Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gaſſen ver¬ irrt, die Bewohner ſaßen plaudernd vor den Thuͤren, ſchoͤne, halbnackte Kinder ſpielten und laͤrmten in dem Abendſchimmer. Da hoͤrte er unerwartet weiterhin ein lautes Gezaͤnk in deutſcher Sprache heruͤberſchallen und eilte neugierig dem Hauſe zu, woher der Laͤrm kam. Auf einmal ſprang die Hausthuͤr haſtig auf, und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann kam ſo unſanft herausgeflogen, daß er den Hut vom Kopf verlor. Mein Gott! du, Grundling! rief Fortunat uͤberraſcht aus — es war der deutſche Rei¬ ſende, der ihm die Wohnung in dem Palaſt beſorgt hatte. — Da biſt du ja wie gerufen, ſagte dieſer ganz ruhig ſeinen Hut abſtaubend, ich will dich ſo¬ gleich bei Landsleuten einfuͤhren. Hiermit verſuchte er den Druͤcker der Thuͤr, fand ſie aber hinter ſich ver¬ ſchloſſen. Hat nichts zu ſagen, meinte er nun, winkte Fortunaten und fuͤhrte den Erſtaunten in das leer¬ ſtehende Nebenhaus, im Dunkeln vorſichtig tappend,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0201"n="194"/>
ganze Straßen ein Paar ſeltſamen Maͤnnergeſtalten,<lb/>
deren roͤmiſche Naſen und ausdrucksvolle Gebaͤhrden<lb/>
ihm eben beſonders auffielen, und wenn er dann er¬<lb/>
muͤdet von dem muͤßigen Umherſchlendern zuruͤckkehrte,<lb/>
mußte er ſich dennoch eingeſtehen, daß er in der kurzen<lb/>
Zeit mehr geſehen und erfahren hatte, als ſein gedruck¬<lb/>
ter Fuͤhrer ſich traͤumen ließ.</p><lb/><p>Auf einem ſolchen Streifzuge hatte er ſich eines<lb/>
Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gaſſen ver¬<lb/>
irrt, die Bewohner ſaßen plaudernd vor den Thuͤren,<lb/>ſchoͤne, halbnackte Kinder ſpielten und laͤrmten in dem<lb/>
Abendſchimmer. Da hoͤrte er unerwartet weiterhin<lb/>
ein lautes Gezaͤnk in deutſcher Sprache heruͤberſchallen<lb/>
und eilte neugierig dem Hauſe zu, woher der Laͤrm<lb/>
kam. Auf einmal ſprang die Hausthuͤr haſtig auf,<lb/>
und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann<lb/>
kam ſo unſanft herausgeflogen, daß er den Hut vom<lb/>
Kopf verlor. Mein Gott! du, <hirendition="#g">Grundling</hi>! rief<lb/>
Fortunat uͤberraſcht aus — es war der deutſche Rei¬<lb/>ſende, der ihm die Wohnung in dem Palaſt beſorgt<lb/>
hatte. — Da biſt du ja wie gerufen, ſagte dieſer<lb/>
ganz ruhig ſeinen Hut abſtaubend, ich will dich ſo¬<lb/>
gleich bei Landsleuten einfuͤhren. Hiermit verſuchte er<lb/>
den Druͤcker der Thuͤr, fand ſie aber hinter ſich ver¬<lb/>ſchloſſen. Hat nichts zu ſagen, meinte er nun, winkte<lb/>
Fortunaten und fuͤhrte den Erſtaunten in das leer¬<lb/>ſtehende Nebenhaus, im Dunkeln vorſichtig tappend,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[194/0201]
ganze Straßen ein Paar ſeltſamen Maͤnnergeſtalten,
deren roͤmiſche Naſen und ausdrucksvolle Gebaͤhrden
ihm eben beſonders auffielen, und wenn er dann er¬
muͤdet von dem muͤßigen Umherſchlendern zuruͤckkehrte,
mußte er ſich dennoch eingeſtehen, daß er in der kurzen
Zeit mehr geſehen und erfahren hatte, als ſein gedruck¬
ter Fuͤhrer ſich traͤumen ließ.
Auf einem ſolchen Streifzuge hatte er ſich eines
Abends in ein entlegenes Labyrinth kleiner Gaſſen ver¬
irrt, die Bewohner ſaßen plaudernd vor den Thuͤren,
ſchoͤne, halbnackte Kinder ſpielten und laͤrmten in dem
Abendſchimmer. Da hoͤrte er unerwartet weiterhin
ein lautes Gezaͤnk in deutſcher Sprache heruͤberſchallen
und eilte neugierig dem Hauſe zu, woher der Laͤrm
kam. Auf einmal ſprang die Hausthuͤr haſtig auf,
und ein wohlgekleideter, nicht mehr ganz junger Mann
kam ſo unſanft herausgeflogen, daß er den Hut vom
Kopf verlor. Mein Gott! du, Grundling! rief
Fortunat uͤberraſcht aus — es war der deutſche Rei¬
ſende, der ihm die Wohnung in dem Palaſt beſorgt
hatte. — Da biſt du ja wie gerufen, ſagte dieſer
ganz ruhig ſeinen Hut abſtaubend, ich will dich ſo¬
gleich bei Landsleuten einfuͤhren. Hiermit verſuchte er
den Druͤcker der Thuͤr, fand ſie aber hinter ſich ver¬
ſchloſſen. Hat nichts zu ſagen, meinte er nun, winkte
Fortunaten und fuͤhrte den Erſtaunten in das leer¬
ſtehende Nebenhaus, im Dunkeln vorſichtig tappend,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/201>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.