zum Fliegen ausholend, bald in den auserlesensten Fi¬ guren und Windungen sich nähernd und wieder tren¬ nend, bevor sie einander endlich zum Walzer umfa߬ ten. Der dicke Weinschenk ging mit aufgestreiften Hemdärmeln dazwischen herum, ahmte mit dem Munde den Wachtelschlag nach, schnitt den vorübertanzenden Frauenzimmern lächerliche Gesichter, oder wagte zu¬ weilen selbst einen künstlichen Sprung. Am auffal¬ lendsten aber war der Musikant: ein anständig geklei¬ detes lebhaftes Männchen mit einem scharfen geist¬ reichen Gesicht, emsig in den wunderlichsten Laufern die Geige spielend, während seine Augen mit unver¬ kennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten. Vergebens riefen diese ihm zu, sich zu moderiren, der Unaufhaltsame drehte mit wahrem Virtuosen-Wahn¬ sinn die Töne, wie einen Kreisel, immer schneller und dichter, die Tanzenden geriethen endlich ganz außer Takt und Athem, es entstand ein allgemeines Wirren und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Musikus eindrangen. Dieser erhob sich nun, und retirirte be¬ sonnen in künstlichen Fechtparaden nach der Thür, immerfort mit dem Fidelbogen in den dicksten Haufen stoßend. So kam er glücklich auf die Straße heraus, die Schlafmütze des Wirths, die er im Getümmel aufgespießt, hoch auf seinem Bogen. Der lustige Wirth folgte schimpfend, und vermehrte den Lärm von
zum Fliegen ausholend, bald in den auserleſenſten Fi¬ guren und Windungen ſich naͤhernd und wieder tren¬ nend, bevor ſie einander endlich zum Walzer umfa߬ ten. Der dicke Weinſchenk ging mit aufgeſtreiften Hemdaͤrmeln dazwiſchen herum, ahmte mit dem Munde den Wachtelſchlag nach, ſchnitt den voruͤbertanzenden Frauenzimmern laͤcherliche Geſichter, oder wagte zu¬ weilen ſelbſt einen kuͤnſtlichen Sprung. Am auffal¬ lendſten aber war der Muſikant: ein anſtaͤndig geklei¬ detes lebhaftes Maͤnnchen mit einem ſcharfen geiſt¬ reichen Geſicht, emſig in den wunderlichſten Laufern die Geige ſpielend, waͤhrend ſeine Augen mit unver¬ kennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten. Vergebens riefen dieſe ihm zu, ſich zu moderiren, der Unaufhaltſame drehte mit wahrem Virtuoſen-Wahn¬ ſinn die Toͤne, wie einen Kreiſel, immer ſchneller und dichter, die Tanzenden geriethen endlich ganz außer Takt und Athem, es entſtand ein allgemeines Wirren und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Muſikus eindrangen. Dieſer erhob ſich nun, und retirirte be¬ ſonnen in kuͤnſtlichen Fechtparaden nach der Thuͤr, immerfort mit dem Fidelbogen in den dickſten Haufen ſtoßend. So kam er gluͤcklich auf die Straße heraus, die Schlafmuͤtze des Wirths, die er im Getuͤmmel aufgeſpießt, hoch auf ſeinem Bogen. Der luſtige Wirth folgte ſchimpfend, und vermehrte den Laͤrm von
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zum Fliegen ausholend, bald in den auserleſenſten Fi¬
guren und Windungen ſich naͤhernd und wieder tren¬
nend, bevor ſie einander endlich zum Walzer umfa߬
ten. Der dicke Weinſchenk ging mit aufgeſtreiften
Hemdaͤrmeln dazwiſchen herum, ahmte mit dem Munde
den Wachtelſchlag nach, ſchnitt den voruͤbertanzenden
Frauenzimmern laͤcherliche Geſichter, oder wagte zu¬
weilen ſelbſt einen kuͤnſtlichen Sprung. Am auffal¬
lendſten aber war der Muſikant: ein anſtaͤndig geklei¬
detes lebhaftes Maͤnnchen mit einem ſcharfen geiſt¬
reichen Geſicht, emſig in den wunderlichſten Laufern
die Geige ſpielend, waͤhrend ſeine Augen mit unver¬
kennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten.
Vergebens riefen dieſe ihm zu, ſich zu moderiren, der
Unaufhaltſame drehte mit wahrem Virtuoſen-Wahn¬
ſinn die Toͤne, wie einen Kreiſel, immer ſchneller und
dichter, die Tanzenden geriethen endlich ganz außer
Takt und Athem, es entſtand ein allgemeines Wirren
und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Muſikus
eindrangen. Dieſer erhob ſich nun, und retirirte be¬
ſonnen in kuͤnſtlichen Fechtparaden nach der Thuͤr,
immerfort mit dem Fidelbogen in den dickſten Haufen
ſtoßend. So kam er gluͤcklich auf die Straße heraus,
die Schlafmuͤtze des Wirths, die er im Getuͤmmel
aufgeſpießt, hoch auf ſeinem Bogen. Der luſtige
Wirth folgte ſchimpfend, und vermehrte den Laͤrm von
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Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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