Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lösen sich grüngoldene Funken und schwärmen durch
das Blütengeflecht, und in ihrem streifenden Wider¬
schein sehen die Gesichter leichenblaß, wie Sie jetzt,
Fürstin, im Mondlicht. -- So redete er sich nach
und nach in die Tugend und tragisches Wesen hinein,
sprach entsetzlich von der Sünde, immer begeisterter,
wilder und herzzerschneidend. Die Fürstin überlief es
heimlich eiskalt dabei. Aber sie bezwang sich und un¬
terbrach ihn lachend: Der Duft der Nachtblume ist
Ihnen zu Kopfe gestiegen, gehen Sie nach Hause und
nehmen Sie ein Fußbad. -- Dann wandte sie sich
stolz nach dem Schlosse.

Dryander stand wie vom Donner gerührt. Jetzt
wollte er ihr nach, sie festhalten, rannte aber in der
Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er
den Hut verlor. Er schimpfte sich selbst einen gefalle¬
nen Engel, der gotteslästerlich die Unschuld an die
Wand male, die ihn verführt. So eilte er wie be¬
sessen quer durch den Wald, in der Ferne verklang
eben noch die letzte Abendglocke, die Mädchen im
Dorfe unten sangen vor den Hausthüren. Und als
er am Ende des Parks plötzlich heraustrat, erblickte
er vor der letzten Hütte des Dorfs beim hellsten Mond¬
schein eine schöne Jungfrau, die er noch niemals gese¬
hen, in reichem Gewand unter einer Linde sitzend. Sie
hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schooß, ein
anderes stand auf ihr Knie gestützt und sah an ihr

loͤſen ſich gruͤngoldene Funken und ſchwaͤrmen durch
das Bluͤtengeflecht, und in ihrem ſtreifenden Wider¬
ſchein ſehen die Geſichter leichenblaß, wie Sie jetzt,
Fuͤrſtin, im Mondlicht. — So redete er ſich nach
und nach in die Tugend und tragiſches Weſen hinein,
ſprach entſetzlich von der Suͤnde, immer begeiſterter,
wilder und herzzerſchneidend. Die Fuͤrſtin uͤberlief es
heimlich eiskalt dabei. Aber ſie bezwang ſich und un¬
terbrach ihn lachend: Der Duft der Nachtblume iſt
Ihnen zu Kopfe geſtiegen, gehen Sie nach Hauſe und
nehmen Sie ein Fußbad. — Dann wandte ſie ſich
ſtolz nach dem Schloſſe.

Dryander ſtand wie vom Donner geruͤhrt. Jetzt
wollte er ihr nach, ſie feſthalten, rannte aber in der
Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er
den Hut verlor. Er ſchimpfte ſich ſelbſt einen gefalle¬
nen Engel, der gotteslaͤſterlich die Unſchuld an die
Wand male, die ihn verfuͤhrt. So eilte er wie be¬
ſeſſen quer durch den Wald, in der Ferne verklang
eben noch die letzte Abendglocke, die Maͤdchen im
Dorfe unten ſangen vor den Hausthuͤren. Und als
er am Ende des Parks ploͤtzlich heraustrat, erblickte
er vor der letzten Huͤtte des Dorfs beim hellſten Mond¬
ſchein eine ſchoͤne Jungfrau, die er noch niemals geſe¬
hen, in reichem Gewand unter einer Linde ſitzend. Sie
hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schooß, ein
anderes ſtand auf ihr Knie geſtuͤtzt und ſah an ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="158"/>
lo&#x0364;&#x017F;en &#x017F;ich gru&#x0364;ngoldene Funken und &#x017F;chwa&#x0364;rmen durch<lb/>
das Blu&#x0364;tengeflecht, und in ihrem &#x017F;treifenden Wider¬<lb/>
&#x017F;chein &#x017F;ehen die Ge&#x017F;ichter leichenblaß, wie Sie jetzt,<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;tin, im Mondlicht. &#x2014; So redete er &#x017F;ich nach<lb/>
und nach in die Tugend und tragi&#x017F;ches We&#x017F;en hinein,<lb/>
&#x017F;prach ent&#x017F;etzlich von der Su&#x0364;nde, immer begei&#x017F;terter,<lb/>
wilder und herzzer&#x017F;chneidend. Die Fu&#x0364;r&#x017F;tin u&#x0364;berlief es<lb/>
heimlich eiskalt dabei. Aber &#x017F;ie bezwang &#x017F;ich und un¬<lb/>
terbrach ihn lachend: Der Duft der Nachtblume i&#x017F;t<lb/>
Ihnen zu Kopfe ge&#x017F;tiegen, gehen Sie nach Hau&#x017F;e und<lb/>
nehmen Sie ein Fußbad. &#x2014; Dann wandte &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;tolz nach dem Schlo&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Dryander &#x017F;tand wie vom Donner geru&#x0364;hrt. Jetzt<lb/>
wollte er ihr nach, &#x017F;ie fe&#x017F;thalten, rannte aber in der<lb/>
Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er<lb/>
den Hut verlor. Er &#x017F;chimpfte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einen gefalle¬<lb/>
nen Engel, der gottesla&#x0364;&#x017F;terlich die Un&#x017F;chuld an die<lb/>
Wand male, die ihn verfu&#x0364;hrt. So eilte er wie be¬<lb/>
&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en quer durch den Wald, in der Ferne verklang<lb/>
eben noch die letzte Abendglocke, die Ma&#x0364;dchen im<lb/>
Dorfe unten &#x017F;angen vor den Hausthu&#x0364;ren. Und als<lb/>
er am Ende des Parks plo&#x0364;tzlich heraustrat, erblickte<lb/>
er vor der letzten Hu&#x0364;tte des Dorfs beim hell&#x017F;ten Mond¬<lb/>
&#x017F;chein eine &#x017F;cho&#x0364;ne Jungfrau, die er noch niemals ge&#x017F;<lb/>
hen, in reichem Gewand unter einer Linde &#x017F;itzend. Sie<lb/>
hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schooß, ein<lb/>
anderes &#x017F;tand auf ihr Knie ge&#x017F;tu&#x0364;tzt und &#x017F;ah an ihr<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0165] loͤſen ſich gruͤngoldene Funken und ſchwaͤrmen durch das Bluͤtengeflecht, und in ihrem ſtreifenden Wider¬ ſchein ſehen die Geſichter leichenblaß, wie Sie jetzt, Fuͤrſtin, im Mondlicht. — So redete er ſich nach und nach in die Tugend und tragiſches Weſen hinein, ſprach entſetzlich von der Suͤnde, immer begeiſterter, wilder und herzzerſchneidend. Die Fuͤrſtin uͤberlief es heimlich eiskalt dabei. Aber ſie bezwang ſich und un¬ terbrach ihn lachend: Der Duft der Nachtblume iſt Ihnen zu Kopfe geſtiegen, gehen Sie nach Hauſe und nehmen Sie ein Fußbad. — Dann wandte ſie ſich ſtolz nach dem Schloſſe. Dryander ſtand wie vom Donner geruͤhrt. Jetzt wollte er ihr nach, ſie feſthalten, rannte aber in der Verwirrung mit der Stirn an einen Baum, daß er den Hut verlor. Er ſchimpfte ſich ſelbſt einen gefalle¬ nen Engel, der gotteslaͤſterlich die Unſchuld an die Wand male, die ihn verfuͤhrt. So eilte er wie be¬ ſeſſen quer durch den Wald, in der Ferne verklang eben noch die letzte Abendglocke, die Maͤdchen im Dorfe unten ſangen vor den Hausthuͤren. Und als er am Ende des Parks ploͤtzlich heraustrat, erblickte er vor der letzten Huͤtte des Dorfs beim hellſten Mond¬ ſchein eine ſchoͤne Jungfrau, die er noch niemals geſe¬ hen, in reichem Gewand unter einer Linde ſitzend. Sie hatte ein blondgelocktes Kind auf dem Schooß, ein anderes ſtand auf ihr Knie geſtuͤtzt und ſah an ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/165
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/165>, abgerufen am 25.11.2024.