ein fremder Mann, dicht im Mantel verhüllt, trat plötzlich in der Ferne zwischen den Bäumen hervor. Um Gotteswillen! rief die Amme und flüsterte noch etwas in der höchsten Angst. Aber die Gräfin, wie ein Falk in den Lüften hängend, stürzte mit unmensch¬ licher Lust schon auf ihre Beute. Der Fremde er¬ schrak heftig, erholte sich aber, da er ein Weib vor sich erblickte. Sie sah ihn groß an, sie kannte ihn nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiederte er zögernd und sichtbar verwirrt, er wolle der schönen jungen Gräfin ein Ständchen bringen. Der Wind schlug ein wenig seinen Mantel auf, da fiel es ihr seltsam auf's Herz, daß es ein französischer Offizier, doch sagte sie nichts, aber ihre Blicke gingen scharf seitwärts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als hörte sie etwas heimlich durch den Garten huschen und Pferde schnauben in der Ferne. -- Kannst du mir die Fenster zeigen, wo sie schläft? sagte der Fremde wie¬ der, und da sie ihm gefiel, umschlang er sie mit einem Arme. Die Gräfin besann sich einen Augenblick. Warum nicht! sagte sie dann schnell, wenn ihr mir euren schönen Ring gebt zum Lohne; aber euren Man¬ tel müßt ihr mir borgen, damit man mich nicht er¬ kennt. Der verliebte Offizier hing ihr selbst den Mantel um, und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken sähen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte schon ganz andere Gedanken, und als er eben den
9
ein fremder Mann, dicht im Mantel verhuͤllt, trat ploͤtzlich in der Ferne zwiſchen den Baͤumen hervor. Um Gotteswillen! rief die Amme und fluͤſterte noch etwas in der hoͤchſten Angſt. Aber die Graͤfin, wie ein Falk in den Luͤften haͤngend, ſtuͤrzte mit unmenſch¬ licher Luſt ſchon auf ihre Beute. Der Fremde er¬ ſchrak heftig, erholte ſich aber, da er ein Weib vor ſich erblickte. Sie ſah ihn groß an, ſie kannte ihn nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiederte er zoͤgernd und ſichtbar verwirrt, er wolle der ſchoͤnen jungen Graͤfin ein Staͤndchen bringen. Der Wind ſchlug ein wenig ſeinen Mantel auf, da fiel es ihr ſeltſam auf's Herz, daß es ein franzoͤſiſcher Offizier, doch ſagte ſie nichts, aber ihre Blicke gingen ſcharf ſeitwaͤrts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als hoͤrte ſie etwas heimlich durch den Garten huſchen und Pferde ſchnauben in der Ferne. — Kannſt du mir die Fenſter zeigen, wo ſie ſchlaͤft? ſagte der Fremde wie¬ der, und da ſie ihm gefiel, umſchlang er ſie mit einem Arme. Die Graͤfin beſann ſich einen Augenblick. Warum nicht! ſagte ſie dann ſchnell, wenn ihr mir euren ſchoͤnen Ring gebt zum Lohne; aber euren Man¬ tel muͤßt ihr mir borgen, damit man mich nicht er¬ kennt. Der verliebte Offizier hing ihr ſelbſt den Mantel um, und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken ſaͤhen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte ſchon ganz andere Gedanken, und als er eben den
9
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0136"n="129"/>
ein fremder Mann, dicht im Mantel verhuͤllt, trat<lb/>
ploͤtzlich in der Ferne zwiſchen den Baͤumen hervor.<lb/>
Um Gotteswillen! rief die Amme und fluͤſterte noch<lb/>
etwas in der hoͤchſten Angſt. Aber die Graͤfin, wie<lb/>
ein Falk in den Luͤften haͤngend, ſtuͤrzte mit unmenſch¬<lb/>
licher Luſt ſchon auf ihre Beute. Der Fremde er¬<lb/>ſchrak heftig, erholte ſich aber, da er ein Weib vor<lb/>ſich erblickte. Sie ſah ihn groß an, ſie kannte ihn<lb/>
nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiederte<lb/>
er zoͤgernd und ſichtbar verwirrt, er wolle der ſchoͤnen<lb/>
jungen Graͤfin ein Staͤndchen bringen. Der Wind<lb/>ſchlug ein wenig ſeinen Mantel auf, da fiel es ihr<lb/>ſeltſam auf's Herz, daß es ein franzoͤſiſcher Offizier,<lb/>
doch ſagte ſie nichts, aber ihre Blicke gingen ſcharf<lb/>ſeitwaͤrts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als<lb/>
hoͤrte ſie etwas heimlich durch den Garten huſchen und<lb/>
Pferde ſchnauben in der Ferne. — Kannſt du mir die<lb/>
Fenſter zeigen, wo ſie ſchlaͤft? ſagte der Fremde wie¬<lb/>
der, und da ſie ihm gefiel, umſchlang er ſie mit einem<lb/>
Arme. Die Graͤfin beſann ſich einen Augenblick.<lb/>
Warum nicht! ſagte ſie dann ſchnell, wenn ihr mir<lb/>
euren ſchoͤnen Ring gebt zum Lohne; aber euren Man¬<lb/>
tel muͤßt ihr mir borgen, damit man mich nicht er¬<lb/>
kennt. Der verliebte Offizier hing ihr ſelbſt den Mantel<lb/>
um, und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken<lb/>ſaͤhen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte<lb/>ſchon ganz andere Gedanken, und als er eben den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">9<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[129/0136]
ein fremder Mann, dicht im Mantel verhuͤllt, trat
ploͤtzlich in der Ferne zwiſchen den Baͤumen hervor.
Um Gotteswillen! rief die Amme und fluͤſterte noch
etwas in der hoͤchſten Angſt. Aber die Graͤfin, wie
ein Falk in den Luͤften haͤngend, ſtuͤrzte mit unmenſch¬
licher Luſt ſchon auf ihre Beute. Der Fremde er¬
ſchrak heftig, erholte ſich aber, da er ein Weib vor
ſich erblickte. Sie ſah ihn groß an, ſie kannte ihn
nicht. Auf ihre Frage: wo er hin wolle, erwiederte
er zoͤgernd und ſichtbar verwirrt, er wolle der ſchoͤnen
jungen Graͤfin ein Staͤndchen bringen. Der Wind
ſchlug ein wenig ſeinen Mantel auf, da fiel es ihr
ſeltſam auf's Herz, daß es ein franzoͤſiſcher Offizier,
doch ſagte ſie nichts, aber ihre Blicke gingen ſcharf
ſeitwaͤrts in die Dunkelheit, denn es war ihr, als
hoͤrte ſie etwas heimlich durch den Garten huſchen und
Pferde ſchnauben in der Ferne. — Kannſt du mir die
Fenſter zeigen, wo ſie ſchlaͤft? ſagte der Fremde wie¬
der, und da ſie ihm gefiel, umſchlang er ſie mit einem
Arme. Die Graͤfin beſann ſich einen Augenblick.
Warum nicht! ſagte ſie dann ſchnell, wenn ihr mir
euren ſchoͤnen Ring gebt zum Lohne; aber euren Man¬
tel muͤßt ihr mir borgen, damit man mich nicht er¬
kennt. Der verliebte Offizier hing ihr ſelbſt den Mantel
um, und meinte dabei, ihre aufgeringelten Locken
ſaͤhen wie Schlangen aus bei Nacht. Sie aber hatte
ſchon ganz andere Gedanken, und als er eben den
9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Dichter und ihre Gesellen. Berlin, 1834, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_dichter_1834/136>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.