Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am Morgen die Neugestärkten. Leontin sprang schnell vom Lager. Auch Rosa richtete sich auf. Die Morgensonne schien ihr durch das Fenster gerade in's Gesicht. Die Locken noch verwirrt vom nächt¬ lichen Lager, sah sie so blühend und reizend ver¬ schlafen aus, daß sich Friedrich nicht enthalten konnte, ihr einen Kuß auf die frischen Lippen zu drücken. Alles rüstete sich nun fröhlich wieder zur Weiterreise. Aber nun bemerkten sie erst, daß Fa¬ ber fehle. Er hatte sich, wie wir wissen, Abends hinausbegeben, und war seitdem nicht mehr wieder in die Stube zurückgekehrt. Leontin befragte daher die Jäger, und diese sagten denn zu allgemeiner Verwunderung Folgendes aus:
Als sie, noch vor Tagesanbruch, hinausgien¬ gen, um nach den Pferden zu sehen, hörten sie jemand hoch über ihnen, wie aus der Luft, zu wie¬ derholtenmalen rufen. Sie sahen ringsherum und erblickten endlich mit Erstaunen Herrn Faber, der mitten auf dem Dache des Hauses an dem festver¬ schlossenen Dachfenster saß und schimpfend mit bey¬ den Armen, wie eine Windmühle, in der Morgen¬ dämmerung focht. Sie sezten ihm nun auf sein
Sechstes Kapitel.
Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am Morgen die Neugeſtärkten. Leontin ſprang ſchnell vom Lager. Auch Roſa richtete ſich auf. Die Morgenſonne ſchien ihr durch das Fenſter gerade in's Geſicht. Die Locken noch verwirrt vom nächt¬ lichen Lager, ſah ſie ſo blühend und reizend ver¬ ſchlafen aus, daß ſich Friedrich nicht enthalten konnte, ihr einen Kuß auf die friſchen Lippen zu drücken. Alles rüſtete ſich nun fröhlich wieder zur Weiterreiſe. Aber nun bemerkten ſie erſt, daß Fa¬ ber fehle. Er hatte ſich, wie wir wiſſen, Abends hinausbegeben, und war ſeitdem nicht mehr wieder in die Stube zurückgekehrt. Leontin befragte daher die Jäger, und dieſe ſagten denn zu allgemeiner Verwunderung Folgendes aus:
Als ſie, noch vor Tagesanbruch, hinausgien¬ gen, um nach den Pferden zu ſehen, hörten ſie jemand hoch über ihnen, wie aus der Luft, zu wie¬ derholtenmalen rufen. Sie ſahen ringsherum und erblickten endlich mit Erſtaunen Herrn Faber, der mitten auf dem Dache des Hauſes an dem feſtver¬ ſchloſſenen Dachfenſter ſaß und ſchimpfend mit bey¬ den Armen, wie eine Windmühle, in der Morgen¬ dämmerung focht. Sie ſezten ihm nun auf ſein
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Sechstes Kapitel.
Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am
Morgen die Neugeſtärkten. Leontin ſprang ſchnell
vom Lager. Auch Roſa richtete ſich auf. Die
Morgenſonne ſchien ihr durch das Fenſter gerade
in's Geſicht. Die Locken noch verwirrt vom nächt¬
lichen Lager, ſah ſie ſo blühend und reizend ver¬
ſchlafen aus, daß ſich Friedrich nicht enthalten
konnte, ihr einen Kuß auf die friſchen Lippen zu
drücken. Alles rüſtete ſich nun fröhlich wieder zur
Weiterreiſe. Aber nun bemerkten ſie erſt, daß Fa¬
ber fehle. Er hatte ſich, wie wir wiſſen, Abends
hinausbegeben, und war ſeitdem nicht mehr wieder
in die Stube zurückgekehrt. Leontin befragte daher
die Jäger, und dieſe ſagten denn zu allgemeiner
Verwunderung Folgendes aus:
Als ſie, noch vor Tagesanbruch, hinausgien¬
gen, um nach den Pferden zu ſehen, hörten ſie
jemand hoch über ihnen, wie aus der Luft, zu wie¬
derholtenmalen rufen. Sie ſahen ringsherum und
erblickten endlich mit Erſtaunen Herrn Faber, der
mitten auf dem Dache des Hauſes an dem feſtver¬
ſchloſſenen Dachfenſter ſaß und ſchimpfend mit bey¬
den Armen, wie eine Windmühle, in der Morgen¬
dämmerung focht. Sie ſezten ihm nun auf ſein
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/93>, abgerufen am 23.11.2024.
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