Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die sie
dann in einen Kranz über dem Scheitel zusammen¬
heftete. Dabey sang sie immer folgendes Liedchen,
das mir mit seiner ganz eignen Melodie noch im¬
mer sehr deutlich vorschwebt:

Zwischen Bergen, liebe Mutter,
Weit den Wald entlang,
Reiten da drey junge Jäger
Auf drey Rößlein blank,
lieb' Mutter,
Auf drey Rößlein blank.
Ihr könn't fröhlich seyn, lieb' Mutter,
Wird es draussen still:
Kommt der Vater heim vom Walde,
Küßt Euch wie er will,
lieb' Mutter,
Küßt Euch wie er will.
Und ich werfe mich im Bettchen
Nachts ohn' Unterlaß,
Kehr' mich links und kehr' mich rechtshin,
Nirgends hab' ich was,
lieb' Mutter,
Nirgends hab' ich was.
Bin ich eine Frau erst einmal,
In der Nacht dann still
Wend' ich mich nach allen Seiten,
Küß', so viel ich will,
lieb' Mutter,
Küß', so viel ich will.

Sie sang das Liedchen ganz allerliebst. Das
arme Kind wußte wohl damals selbst noch nicht
deutlich, was sie sang. Aber einmal fuhren die

deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die ſie
dann in einen Kranz über dem Scheitel zuſammen¬
heftete. Dabey ſang ſie immer folgendes Liedchen,
das mir mit ſeiner ganz eignen Melodie noch im¬
mer ſehr deutlich vorſchwebt:

Zwiſchen Bergen, liebe Mutter,
Weit den Wald entlang,
Reiten da drey junge Jäger
Auf drey Rößlein blank,
lieb' Mutter,
Auf drey Rößlein blank.
Ihr könn't fröhlich ſeyn, lieb' Mutter,
Wird es drauſſen ſtill:
Kommt der Vater heim vom Walde,
Küßt Euch wie er will,
lieb' Mutter,
Küßt Euch wie er will.
Und ich werfe mich im Bettchen
Nachts ohn' Unterlaß,
Kehr' mich links und kehr' mich rechtshin,
Nirgends hab' ich was,
lieb' Mutter,
Nirgends hab' ich was.
Bin ich eine Frau erſt einmal,
In der Nacht dann ſtill
Wend' ich mich nach allen Seiten,
Küß', ſo viel ich will,
lieb' Mutter,
Küß', ſo viel ich will.

Sie ſang das Liedchen ganz allerliebſt. Das
arme Kind wußte wohl damals ſelbſt noch nicht
deutlich, was ſie ſang. Aber einmal fuhren die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0078" n="72"/>
deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die &#x017F;ie<lb/>
dann in einen Kranz über dem Scheitel zu&#x017F;ammen¬<lb/>
heftete. Dabey &#x017F;ang &#x017F;ie immer folgendes Liedchen,<lb/>
das mir mit &#x017F;einer ganz eignen Melodie noch im¬<lb/>
mer &#x017F;ehr deutlich vor&#x017F;chwebt:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Zwi&#x017F;chen Bergen, liebe Mutter,</l><lb/>
              <l>Weit den Wald entlang,</l><lb/>
              <l>Reiten da drey junge Jäger</l><lb/>
              <l>Auf drey Rößlein blank,</l><lb/>
              <l rendition="#et">lieb' Mutter,</l><lb/>
              <l>Auf drey Rößlein blank.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et"><hi rendition="#g">Ihr</hi> könn't fröhlich &#x017F;eyn, lieb' Mutter,</l><lb/>
              <l>Wird es drau&#x017F;&#x017F;en &#x017F;till:</l><lb/>
              <l>Kommt der Vater heim vom Walde,</l><lb/>
              <l>Küßt Euch wie er will,</l><lb/>
              <l rendition="#et">lieb' Mutter,</l><lb/>
              <l>Küßt Euch wie er will.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Und ich werfe mich im Bettchen</l><lb/>
              <l>Nachts ohn' Unterlaß,</l><lb/>
              <l>Kehr' mich links und kehr' mich rechtshin,</l><lb/>
              <l>Nirgends hab' ich was,</l><lb/>
              <l rendition="#et">lieb' Mutter,</l><lb/>
              <l>Nirgends hab' ich was.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l rendition="#et">Bin ich eine Frau er&#x017F;t einmal,</l><lb/>
              <l>In der Nacht dann &#x017F;till</l><lb/>
              <l>Wend' ich mich nach allen Seiten,</l><lb/>
              <l>Küß', &#x017F;o viel ich will,</l><lb/>
              <l rendition="#et">lieb' Mutter,</l><lb/>
              <l>Küß', &#x017F;o viel ich will.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
          <p>Sie &#x017F;ang das Liedchen ganz allerlieb&#x017F;t. Das<lb/>
arme Kind wußte wohl damals &#x017F;elb&#x017F;t noch nicht<lb/>
deutlich, was &#x017F;ie &#x017F;ang. Aber einmal fuhren die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0078] deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die ſie dann in einen Kranz über dem Scheitel zuſammen¬ heftete. Dabey ſang ſie immer folgendes Liedchen, das mir mit ſeiner ganz eignen Melodie noch im¬ mer ſehr deutlich vorſchwebt: Zwiſchen Bergen, liebe Mutter, Weit den Wald entlang, Reiten da drey junge Jäger Auf drey Rößlein blank, lieb' Mutter, Auf drey Rößlein blank. Ihr könn't fröhlich ſeyn, lieb' Mutter, Wird es drauſſen ſtill: Kommt der Vater heim vom Walde, Küßt Euch wie er will, lieb' Mutter, Küßt Euch wie er will. Und ich werfe mich im Bettchen Nachts ohn' Unterlaß, Kehr' mich links und kehr' mich rechtshin, Nirgends hab' ich was, lieb' Mutter, Nirgends hab' ich was. Bin ich eine Frau erſt einmal, In der Nacht dann ſtill Wend' ich mich nach allen Seiten, Küß', ſo viel ich will, lieb' Mutter, Küß', ſo viel ich will. Sie ſang das Liedchen ganz allerliebſt. Das arme Kind wußte wohl damals ſelbſt noch nicht deutlich, was ſie ſang. Aber einmal fuhren die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/78
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/78>, abgerufen am 26.11.2024.