Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Burgen das noch unbekannte, überschwengliche Le¬
ben ernst und fröhlich ansieht! -- Das Reisen, sag¬
te Faber, ist dem Leben vergleichsam. Das Leben
der Meisten ist eine immerwährende Geschäftsreise
vom Buttermarkt zum Käsemarkt; das Leben der Poe¬
tischen dagegen ein freyes, unendliches Reisen nach
dem Himmelreich. -- Leontin, dessen Widerspruchsgeist
Faber jederzeit unwiderstehlich anregte, sagte dar¬
auf: Diese reisenden Poetischen sind wieder den
Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man
fälschlich glaubt, daß sie keine Füße haben. Sie
müssen doch auch herunter und in Wirthshäusern
einkehren, und Vettern und Basen besuchen, und,
was sie sich auch für Zeug einbilden, das Fräulein
auf dem lichten Schlosse ist doch nur ein dummes,
höchstens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem
bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte
treibt, um dann desto jämmerlicher, wie ein aus¬
geblasener Dudelsack, wieder zur Erde zu fallen,
auf der alten, schönen, trozigen Burg findet sich
auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier
u. s. w. Alles ist Einbildung. -- Du solltest nicht
so reden, entgegnete Friedrich. Wenn wir von
einer inneren Freudigkeit erfüllt sind, welche, wie
die Morgensonne, die Welt überscheint und alle
Begebenheiten, Verhältnisse und Kreaturen zur ei¬
genthumlichen Bedeutung erhebt, so ist dieses freu¬
dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in
der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬
deihen, und die Welt ist wirklich so bedeutsam, jung
und schön, wie sie unser Gemüth in sich selber an¬

Burgen das noch unbekannte, überſchwengliche Le¬
ben ernſt und fröhlich anſieht! — Das Reiſen, ſag¬
te Faber, iſt dem Leben vergleichſam. Das Leben
der Meiſten iſt eine immerwährende Geſchäftsreiſe
vom Buttermarkt zum Käſemarkt; das Leben der Poe¬
tiſchen dagegen ein freyes, unendliches Reiſen nach
dem Himmelreich. — Leontin, deſſen Widerſpruchsgeiſt
Faber jederzeit unwiderſtehlich anregte, ſagte dar¬
auf: Dieſe reiſenden Poetiſchen ſind wieder den
Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man
fälſchlich glaubt, daß ſie keine Füße haben. Sie
müſſen doch auch herunter und in Wirthshäuſern
einkehren, und Vettern und Baſen beſuchen, und,
was ſie ſich auch für Zeug einbilden, das Fräulein
auf dem lichten Schloſſe iſt doch nur ein dummes,
höchſtens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem
bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte
treibt, um dann deſto jämmerlicher, wie ein aus¬
geblaſener Dudelſack, wieder zur Erde zu fallen,
auf der alten, ſchönen, trozigen Burg findet ſich
auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier
u. ſ. w. Alles iſt Einbildung. — Du ſollteſt nicht
ſo reden, entgegnete Friedrich. Wenn wir von
einer inneren Freudigkeit erfüllt ſind, welche, wie
die Morgenſonne, die Welt überſcheint und alle
Begebenheiten, Verhältniſſe und Kreaturen zur ei¬
genthumlichen Bedeutung erhebt, ſo iſt dieſes freu¬
dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in
der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬
deihen, und die Welt iſt wirklich ſo bedeutſam, jung
und ſchön, wie ſie unſer Gemüth in ſich ſelber an¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="58"/>
Burgen das noch unbekannte, über&#x017F;chwengliche Le¬<lb/>
ben ern&#x017F;t und fröhlich an&#x017F;ieht! &#x2014; Das Rei&#x017F;en, &#x017F;ag¬<lb/>
te Faber, i&#x017F;t dem Leben vergleich&#x017F;am. Das Leben<lb/>
der Mei&#x017F;ten i&#x017F;t eine immerwährende Ge&#x017F;chäftsrei&#x017F;e<lb/>
vom Buttermarkt zum Kä&#x017F;emarkt; das Leben der Poe¬<lb/>
ti&#x017F;chen dagegen ein freyes, unendliches Rei&#x017F;en nach<lb/>
dem Himmelreich. &#x2014; Leontin, de&#x017F;&#x017F;en Wider&#x017F;pruchsgei&#x017F;t<lb/>
Faber jederzeit unwider&#x017F;tehlich anregte, &#x017F;agte dar¬<lb/>
auf: Die&#x017F;e rei&#x017F;enden Poeti&#x017F;chen &#x017F;ind wieder den<lb/>
Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man<lb/>
fäl&#x017F;chlich glaubt, daß &#x017F;ie keine Füße haben. Sie<lb/>&#x017F;&#x017F;en doch auch herunter und in Wirthshäu&#x017F;ern<lb/>
einkehren, und Vettern und Ba&#x017F;en be&#x017F;uchen, und,<lb/>
was &#x017F;ie &#x017F;ich auch für Zeug einbilden, das Fräulein<lb/>
auf dem lichten Schlo&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t doch nur ein dummes,<lb/>
höch&#x017F;tens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem<lb/>
bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte<lb/>
treibt, um dann de&#x017F;to jämmerlicher, wie ein aus¬<lb/>
gebla&#x017F;ener Dudel&#x017F;ack, wieder zur Erde zu fallen,<lb/>
auf der alten, &#x017F;chönen, trozigen Burg findet &#x017F;ich<lb/>
auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier<lb/>
u. &#x017F;. w. Alles i&#x017F;t Einbildung. &#x2014; Du &#x017F;ollte&#x017F;t nicht<lb/>
&#x017F;o reden, entgegnete <hi rendition="#g">Friedrich</hi>. Wenn wir von<lb/>
einer inneren Freudigkeit erfüllt &#x017F;ind, welche, wie<lb/>
die Morgen&#x017F;onne, die Welt über&#x017F;cheint und alle<lb/>
Begebenheiten, Verhältni&#x017F;&#x017F;e und Kreaturen zur ei¬<lb/>
genthumlichen Bedeutung erhebt, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;es freu¬<lb/>
dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in<lb/>
der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬<lb/>
deihen, und die Welt i&#x017F;t wirklich &#x017F;o bedeut&#x017F;am, jung<lb/>
und &#x017F;chön, wie &#x017F;ie un&#x017F;er Gemüth in &#x017F;ich &#x017F;elber an¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0064] Burgen das noch unbekannte, überſchwengliche Le¬ ben ernſt und fröhlich anſieht! — Das Reiſen, ſag¬ te Faber, iſt dem Leben vergleichſam. Das Leben der Meiſten iſt eine immerwährende Geſchäftsreiſe vom Buttermarkt zum Käſemarkt; das Leben der Poe¬ tiſchen dagegen ein freyes, unendliches Reiſen nach dem Himmelreich. — Leontin, deſſen Widerſpruchsgeiſt Faber jederzeit unwiderſtehlich anregte, ſagte dar¬ auf: Dieſe reiſenden Poetiſchen ſind wieder den Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man fälſchlich glaubt, daß ſie keine Füße haben. Sie müſſen doch auch herunter und in Wirthshäuſern einkehren, und Vettern und Baſen beſuchen, und, was ſie ſich auch für Zeug einbilden, das Fräulein auf dem lichten Schloſſe iſt doch nur ein dummes, höchſtens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte treibt, um dann deſto jämmerlicher, wie ein aus¬ geblaſener Dudelſack, wieder zur Erde zu fallen, auf der alten, ſchönen, trozigen Burg findet ſich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier u. ſ. w. Alles iſt Einbildung. — Du ſollteſt nicht ſo reden, entgegnete Friedrich. Wenn wir von einer inneren Freudigkeit erfüllt ſind, welche, wie die Morgenſonne, die Welt überſcheint und alle Begebenheiten, Verhältniſſe und Kreaturen zur ei¬ genthumlichen Bedeutung erhebt, ſo iſt dieſes freu¬ dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬ deihen, und die Welt iſt wirklich ſo bedeutſam, jung und ſchön, wie ſie unſer Gemüth in ſich ſelber an¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/64
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/64>, abgerufen am 25.11.2024.