sten Gericht, erhoben sich hin und her und wandel¬ ten dunkel durch die Stille. Ein unbeschreibliches Grausen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jam¬ merspiel, ich raffte mich schnell auf und lief bis es Tag wurde.
In einem Städtchen las ich in der Zeitung die Bekanntmachung meines Vormunds, daß ich in dem Treffen geblieben sey, auch hörte ich, daß der Marchese mit seiner Tochter unser Schloß wieder verlassen habe. Ich war zu stolz und aufgeregt, um nach Hause zurückzukehren. Indeß erwachte das Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem Herzen. Ich bildete mir die liebliche Erinnerung mit allen Kräften meiner Seele aus und so mahlte ich damals jenes Engelsköpfchen, das Du hier zu meinem Erstaunen mitgebracht hast. Es ist Angeli¬ nen's Portrait.
Mein unruhiges und doch immer in sich selbst verschlossenes Gemüth bekam nun auf einmal die erste entschiedene Richtung nach Aussen. Ich warf mich mit einem unerhörten Fleisse auf die Mahlerey und streifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals, die Kunst werde mein Gemüth ganz befriedigen und ausfüllen. Aber es war nicht so. Es blieb immer ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben annahm, und doch mein eigentlicher, innerster Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angst einen neuen Münster hätte aus mir herausbauen können, mir wäre wohler geworden, so felsengroß
ſten Gericht, erhoben ſich hin und her und wandel¬ ten dunkel durch die Stille. Ein unbeſchreibliches Grauſen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jam¬ merſpiel, ich raffte mich ſchnell auf und lief bis es Tag wurde.
In einem Städtchen las ich in der Zeitung die Bekanntmachung meines Vormunds, daß ich in dem Treffen geblieben ſey, auch hörte ich, daß der Marcheſe mit ſeiner Tochter unſer Schloß wieder verlaſſen habe. Ich war zu ſtolz und aufgeregt, um nach Hauſe zurückzukehren. Indeß erwachte das Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem Herzen. Ich bildete mir die liebliche Erinnerung mit allen Kräften meiner Seele aus und ſo mahlte ich damals jenes Engelsköpfchen, das Du hier zu meinem Erſtaunen mitgebracht haſt. Es iſt Angeli¬ nen's Portrait.
Mein unruhiges und doch immer in ſich ſelbſt verſchloſſenes Gemüth bekam nun auf einmal die erſte entſchiedene Richtung nach Auſſen. Ich warf mich mit einem unerhörten Fleiſſe auf die Mahlerey und ſtreifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals, die Kunſt werde mein Gemüth ganz befriedigen und ausfüllen. Aber es war nicht ſo. Es blieb immer ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben annahm, und doch mein eigentlicher, innerſter Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angſt einen neuen Münſter hätte aus mir herausbauen können, mir wäre wohler geworden, ſo felſengroß
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ſten Gericht, erhoben ſich hin und her und wandel¬
ten dunkel durch die Stille. Ein unbeſchreibliches
Grauſen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jam¬
merſpiel, ich raffte mich ſchnell auf und lief bis es
Tag wurde.
In einem Städtchen las ich in der Zeitung die
Bekanntmachung meines Vormunds, daß ich in
dem Treffen geblieben ſey, auch hörte ich, daß der
Marcheſe mit ſeiner Tochter unſer Schloß wieder
verlaſſen habe. Ich war zu ſtolz und aufgeregt,
um nach Hauſe zurückzukehren. Indeß erwachte das
Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem
Herzen. Ich bildete mir die liebliche Erinnerung
mit allen Kräften meiner Seele aus und ſo mahlte
ich damals jenes Engelsköpfchen, das Du hier zu
meinem Erſtaunen mitgebracht haſt. Es iſt Angeli¬
nen's Portrait.
Mein unruhiges und doch immer in ſich ſelbſt
verſchloſſenes Gemüth bekam nun auf einmal die
erſte entſchiedene Richtung nach Auſſen. Ich warf
mich mit einem unerhörten Fleiſſe auf die Mahlerey
und ſtreifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch
erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals,
die Kunſt werde mein Gemüth ganz befriedigen und
ausfüllen. Aber es war nicht ſo. Es blieb immer
ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben
annahm, und doch mein eigentlicher, innerſter
Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angſt
einen neuen Münſter hätte aus mir herausbauen
können, mir wäre wohler geworden, ſo felſengroß
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/428>, abgerufen am 23.11.2024.
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