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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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glaubte ich zu bemerken, daß sie überall Dich mehr
begünstige, als mich; ich war ihr zu wild, sie schien
sich vor mir zu fürchten. Mein alter Argwohn,
Haß und Bangigkeit nahm täglich zu, ich saß, wie
in mir selbst gefangen, bis endlich ein seltsamer
Umstand alle die Engel und Teufel, die damals noch
dunkel in mir rangen, auf einmal losmachte.

Ich war nemlich eines Abends eben mit An¬
gelina im Garten an dem eisernen Gitter, durch
das man auf die Strasse hinaussah. Angelina stand
am Springbrunnen und spielte mit den goldenen
Kugeln, welche die Wasserkunst glänzend auf und
nieder warf. Da kam eine alte Zigeunerin am
Gitter vorbey und verlangte, als sie uns d'rinnen
erblickte, auf die gewöhnliche ungestümme Art uns
zu prophezeyen. Ich streckte sogleich meine Hand
hinaus. Sie las lange Zeit darin. Während deß
ritt ein junger Mensch, der ein Reisender schien,
draussen die Strasse vorbey und grüßte uns höflich.
Die Zigeunerin sah erstaunt mich, Angelina und den
vorüberziehenden Fremden wechselseitig an, endlich
sagte sie, auf uns und ihn deutend: "Eines von
Euch dreyen wird den anderen ermorden." -- Ich
blickte dem Reiter scharf nach, er sah sich noch ein¬
mal um, und ich erkannte, erschrocken und zornig,
sogleich das Gesicht desselben unbekannten Knaben
wieder, der uns bey unserem Auszuge aus der Hei¬
math an dem Feuer so verhöhnt hatte. -- Die
Zigeunerin war unterdeß verschwunden, Angelina

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glaubte ich zu bemerken, daß ſie überall Dich mehr
begünſtige, als mich; ich war ihr zu wild, ſie ſchien
ſich vor mir zu fürchten. Mein alter Argwohn,
Haß und Bangigkeit nahm täglich zu, ich ſaß, wie
in mir ſelbſt gefangen, bis endlich ein ſeltſamer
Umſtand alle die Engel und Teufel, die damals noch
dunkel in mir rangen, auf einmal losmachte.

Ich war nemlich eines Abends eben mit An¬
gelina im Garten an dem eiſernen Gitter, durch
das man auf die Straſſe hinausſah. Angelina ſtand
am Springbrunnen und ſpielte mit den goldenen
Kugeln, welche die Waſſerkunſt glänzend auf und
nieder warf. Da kam eine alte Zigeunerin am
Gitter vorbey und verlangte, als ſie uns d'rinnen
erblickte, auf die gewöhnliche ungeſtümme Art uns
zu prophezeyen. Ich ſtreckte ſogleich meine Hand
hinaus. Sie las lange Zeit darin. Während deß
ritt ein junger Menſch, der ein Reiſender ſchien,
drauſſen die Straſſe vorbey und grüßte uns höflich.
Die Zigeunerin ſah erſtaunt mich, Angelina und den
vorüberziehenden Fremden wechſelſeitig an, endlich
ſagte ſie, auf uns und ihn deutend: „Eines von
Euch dreyen wird den anderen ermorden.“ — Ich
blickte dem Reiter ſcharf nach, er ſah ſich noch ein¬
mal um, und ich erkannte, erſchrocken und zornig,
ſogleich das Geſicht deſſelben unbekannten Knaben
wieder, der uns bey unſerem Auszuge aus der Hei¬
math an dem Feuer ſo verhöhnt hatte. — Die
Zigeunerin war unterdeß verſchwunden, Angelina

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[419/0425] glaubte ich zu bemerken, daß ſie überall Dich mehr begünſtige, als mich; ich war ihr zu wild, ſie ſchien ſich vor mir zu fürchten. Mein alter Argwohn, Haß und Bangigkeit nahm täglich zu, ich ſaß, wie in mir ſelbſt gefangen, bis endlich ein ſeltſamer Umſtand alle die Engel und Teufel, die damals noch dunkel in mir rangen, auf einmal losmachte. Ich war nemlich eines Abends eben mit An¬ gelina im Garten an dem eiſernen Gitter, durch das man auf die Straſſe hinausſah. Angelina ſtand am Springbrunnen und ſpielte mit den goldenen Kugeln, welche die Waſſerkunſt glänzend auf und nieder warf. Da kam eine alte Zigeunerin am Gitter vorbey und verlangte, als ſie uns d'rinnen erblickte, auf die gewöhnliche ungeſtümme Art uns zu prophezeyen. Ich ſtreckte ſogleich meine Hand hinaus. Sie las lange Zeit darin. Während deß ritt ein junger Menſch, der ein Reiſender ſchien, drauſſen die Straſſe vorbey und grüßte uns höflich. Die Zigeunerin ſah erſtaunt mich, Angelina und den vorüberziehenden Fremden wechſelſeitig an, endlich ſagte ſie, auf uns und ihn deutend: „Eines von Euch dreyen wird den anderen ermorden.“ — Ich blickte dem Reiter ſcharf nach, er ſah ſich noch ein¬ mal um, und ich erkannte, erſchrocken und zornig, ſogleich das Geſicht deſſelben unbekannten Knaben wieder, der uns bey unſerem Auszuge aus der Hei¬ math an dem Feuer ſo verhöhnt hatte. — Die Zigeunerin war unterdeß verſchwunden, Angelina 27 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/425>, abgerufen am 23.11.2024.