was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb, deren Stille, Wunderbilder und feurige Widerschei¬ ne sich meinem kindischen Gemüthe unverlöschlich ein¬ prägten. In dieser Nacht sah ich meine Mutter zum letztenmale.
Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts, als Berge und Wälder, große Haufen von Sol¬ daten und blitzenden Reitern, die mit klingendem Spiele über Brücken zogen, unbekannte Thäler und Gegenden, die wie ein Schattenspiel schnell an mei¬ ner Seele vorüberflogen.
Als ich mich endlich zum erstenmale mit Besin¬ nung in der Welt umzuschauen anfieng, befand ich mich allein mit Dir in einem fremden schönen Schloß und Garten unter fremden Leuten. Es war, wie Du weißt, unser Vormund, und das Schloß, ob¬ schon unser Eigenthum, doch nicht unser Geburts¬ ort. Wir beyde sind am Rheine gebohren. -- Es mochte mir hier bald nicht behagen. Besonders stach mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erlo¬ schene Bild meiner Mutter, die ernst, hoch und schlank war, die neue, kleine, wirthschaftliche und dickliche Mutter zu sehr ab. Ich wollte ihr niemals die Hand küssen. Ich mußte viel sitzen und lernen, aber ich konnte nichts erlernen, besonders keine fremde Sprache. Am wenigsten aber wollte mir das sogenannte gewisse Etwas in Gesellschaften an¬ passen, wobey ich mich denn immer sehr schlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit präsentirte. Mir
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was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb, deren Stille, Wunderbilder und feurige Widerſchei¬ ne ſich meinem kindiſchen Gemüthe unverlöſchlich ein¬ prägten. In dieſer Nacht ſah ich meine Mutter zum letztenmale.
Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts, als Berge und Wälder, große Haufen von Sol¬ daten und blitzenden Reitern, die mit klingendem Spiele über Brücken zogen, unbekannte Thäler und Gegenden, die wie ein Schattenſpiel ſchnell an mei¬ ner Seele vorüberflogen.
Als ich mich endlich zum erſtenmale mit Beſin¬ nung in der Welt umzuſchauen anfieng, befand ich mich allein mit Dir in einem fremden ſchönen Schloß und Garten unter fremden Leuten. Es war, wie Du weißt, unſer Vormund, und das Schloß, ob¬ ſchon unſer Eigenthum, doch nicht unſer Geburts¬ ort. Wir beyde ſind am Rheine gebohren. — Es mochte mir hier bald nicht behagen. Beſonders ſtach mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erlo¬ ſchene Bild meiner Mutter, die ernſt, hoch und ſchlank war, die neue, kleine, wirthſchaftliche und dickliche Mutter zu ſehr ab. Ich wollte ihr niemals die Hand küſſen. Ich mußte viel ſitzen und lernen, aber ich konnte nichts erlernen, beſonders keine fremde Sprache. Am wenigſten aber wollte mir das ſogenannte gewiſſe Etwas in Geſellſchaften an¬ paſſen, wobey ich mich denn immer ſehr ſchlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit präſentirte. Mir
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was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb,
deren Stille, Wunderbilder und feurige Widerſchei¬
ne ſich meinem kindiſchen Gemüthe unverlöſchlich ein¬
prägten. In dieſer Nacht ſah ich meine Mutter
zum letztenmale.
Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts,
als Berge und Wälder, große Haufen von Sol¬
daten und blitzenden Reitern, die mit klingendem
Spiele über Brücken zogen, unbekannte Thäler und
Gegenden, die wie ein Schattenſpiel ſchnell an mei¬
ner Seele vorüberflogen.
Als ich mich endlich zum erſtenmale mit Beſin¬
nung in der Welt umzuſchauen anfieng, befand ich
mich allein mit Dir in einem fremden ſchönen Schloß
und Garten unter fremden Leuten. Es war, wie
Du weißt, unſer Vormund, und das Schloß, ob¬
ſchon unſer Eigenthum, doch nicht unſer Geburts¬
ort. Wir beyde ſind am Rheine gebohren. — Es
mochte mir hier bald nicht behagen. Beſonders ſtach
mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erlo¬
ſchene Bild meiner Mutter, die ernſt, hoch und
ſchlank war, die neue, kleine, wirthſchaftliche und
dickliche Mutter zu ſehr ab. Ich wollte ihr niemals
die Hand küſſen. Ich mußte viel ſitzen und lernen,
aber ich konnte nichts erlernen, beſonders keine
fremde Sprache. Am wenigſten aber wollte mir
das ſogenannte gewiſſe Etwas in Geſellſchaften an¬
paſſen, wobey ich mich denn immer ſehr ſchlecht und
zu allgemeiner Unzufriedenheit präſentirte. Mir
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/423>, abgerufen am 23.11.2024.
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