Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬
the. -- Sie schoben endlich alle die Bilder wieder
in den Winkel zusammen und lehnten sich zum Fen¬
ster hinaus.

Alles war noch nächtlich und gränzenlos still,
nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her
über den Wald und begrüßten die ersten Morgen¬
strahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬
ten sie auf einmal draussen in einiger Entfernung
folgendes Lied singen:

Ein Stern still nach dem andern fällt
Tief in des Himmels Kluft,
Schon zucken Strahlen durch die Welt,
Ich wittre Morgenlust.
In Qualmen steigt und sinkt das Thal;
Verödet noch vom Fest
Liegt still der weite Freudensaal,
Und todt noch alle Gäst'.
Da hebt die Sonne aus dem Meer
Erathmend ihren Lauf:
Zur Erde geht, was feucht und schwer,
Was klar, zu ihr hinauf.
Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
Neurauschend in die Luft,
Zieht hinten Städte, eitel Pracht,
Blau' Berge durch den Duft.
Spannt aus die grünen Tepp'che weich,
Von Strömen hell durchrankt,
Und schallend glänzt das frische Reich,
So weit das Auge langt.

Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬
the. — Sie ſchoben endlich alle die Bilder wieder
in den Winkel zuſammen und lehnten ſich zum Fen¬
ſter hinaus.

Alles war noch nächtlich und gränzenlos ſtill,
nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her
über den Wald und begrüßten die erſten Morgen¬
ſtrahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬
ten ſie auf einmal drauſſen in einiger Entfernung
folgendes Lied ſingen:

Ein Stern ſtill nach dem andern fällt
Tief in des Himmels Kluft,
Schon zucken Strahlen durch die Welt,
Ich wittre Morgenluſt.
In Qualmen ſteigt und ſinkt das Thal;
Verödet noch vom Feſt
Liegt ſtill der weite Freudenſaal,
Und todt noch alle Gäſt'.
Da hebt die Sonne aus dem Meer
Erathmend ihren Lauf:
Zur Erde geht, was feucht und ſchwer,
Was klar, zu ihr hinauf.
Hebt grüner Wälder Trieb und Macht
Neurauſchend in die Luft,
Zieht hinten Städte, eitel Pracht,
Blau' Berge durch den Duft.
Spannt aus die grünen Tepp'che weich,
Von Strömen hell durchrankt,
Und ſchallend glänzt das friſche Reich,
So weit das Auge langt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0413" n="407"/>
Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬<lb/>
the. &#x2014; Sie &#x017F;choben endlich alle die Bilder wieder<lb/>
in den Winkel zu&#x017F;ammen und lehnten &#x017F;ich zum Fen¬<lb/>
&#x017F;ter hinaus.</p><lb/>
          <p>Alles war noch nächtlich und gränzenlos &#x017F;till,<lb/>
nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her<lb/>
über den Wald und begrüßten die er&#x017F;ten Morgen¬<lb/>
&#x017F;trahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬<lb/>
ten &#x017F;ie auf einmal drau&#x017F;&#x017F;en in einiger Entfernung<lb/>
folgendes Lied &#x017F;ingen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l rendition="#et">Ein Stern &#x017F;till nach dem andern fällt</l><lb/>
              <l>Tief in des Himmels Kluft,</l><lb/>
              <l>Schon zucken Strahlen durch die Welt,</l><lb/>
              <l>Ich wittre Morgenlu&#x017F;t.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="2">
              <l rendition="#et">In Qualmen &#x017F;teigt und &#x017F;inkt das Thal;</l><lb/>
              <l>Verödet noch vom Fe&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Liegt &#x017F;till der weite Freuden&#x017F;aal,</l><lb/>
              <l>Und todt noch alle Gä&#x017F;t'.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="3">
              <l rendition="#et">Da hebt die Sonne aus dem Meer</l><lb/>
              <l>Erathmend ihren Lauf:</l><lb/>
              <l>Zur Erde geht, was feucht und &#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Was klar, zu ihr hinauf.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="4">
              <l rendition="#et">Hebt grüner Wälder Trieb und Macht</l><lb/>
              <l>Neurau&#x017F;chend in die Luft,</l><lb/>
              <l>Zieht hinten Städte, eitel Pracht,</l><lb/>
              <l>Blau' Berge durch den Duft.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="5">
              <l rendition="#et">Spannt aus die grünen Tepp'che weich,</l><lb/>
              <l>Von Strömen hell durchrankt,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;challend glänzt das fri&#x017F;che Reich,</l><lb/>
              <l>So weit das Auge langt.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[407/0413] Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬ the. — Sie ſchoben endlich alle die Bilder wieder in den Winkel zuſammen und lehnten ſich zum Fen¬ ſter hinaus. Alles war noch nächtlich und gränzenlos ſtill, nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her über den Wald und begrüßten die erſten Morgen¬ ſtrahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬ ten ſie auf einmal drauſſen in einiger Entfernung folgendes Lied ſingen: Ein Stern ſtill nach dem andern fällt Tief in des Himmels Kluft, Schon zucken Strahlen durch die Welt, Ich wittre Morgenluſt. In Qualmen ſteigt und ſinkt das Thal; Verödet noch vom Feſt Liegt ſtill der weite Freudenſaal, Und todt noch alle Gäſt'. Da hebt die Sonne aus dem Meer Erathmend ihren Lauf: Zur Erde geht, was feucht und ſchwer, Was klar, zu ihr hinauf. Hebt grüner Wälder Trieb und Macht Neurauſchend in die Luft, Zieht hinten Städte, eitel Pracht, Blau' Berge durch den Duft. Spannt aus die grünen Tepp'che weich, Von Strömen hell durchrankt, Und ſchallend glänzt das friſche Reich, So weit das Auge langt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/413
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/413>, abgerufen am 17.05.2024.