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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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sen, das nicht vom Walde herzukommen schien, son¬
dern wie ferner Wellenschlag tönte, brauste die
ganze Nacht hindurch.


Zweyundzwanzigstes Kapitel.

Kaum fieng der Morgen draussen an zu däm¬
mern, so sprangen die Beyden schon von ihrem La¬
ger auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den
Gang hinaus. Aber kein Mensch war noch da zu
sehen, die Gänge und Stiegen standen leer, der
steinerne Brunnen im Hofe rauschte einförmig fort.
Sie giengen unruhig auf und ab; nirgends bemerk¬
ten sie einen neuen Bau oder Verzierung an dem
Schlosse, es schien nur das Alte grade zur Noth¬
durft zusammengehalten. Bunte Blumen und kleine
grüne Bäumchen wuchsen hin und wieder auf dem
hohen Dache, zwischen denen Vögel lustig sangen.
Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem ab¬
gelegensten und verfallensten Theile des Schlosses in
ein offenes, hochgelegenes Gemach, dessen Wände
sie mit Kohle bemahlt fanden. Es waren meist
flüchtige Umrisse von mehr als lebensgroßen Figu¬
ren, Felsen und Bäumen, zum Theil halbverwischt
und unkenntlich. Gleich an der Thüre war eine
seltsame Figur, die sie sogleich für den Eulenspiegel
erkannten. Auf der anderen Wand erkannte Frie¬

ſen, das nicht vom Walde herzukommen ſchien, ſon¬
dern wie ferner Wellenſchlag tönte, brauste die
ganze Nacht hindurch.


Zweyundzwanzigſtes Kapitel.

Kaum fieng der Morgen drauſſen an zu däm¬
mern, ſo ſprangen die Beyden ſchon von ihrem La¬
ger auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den
Gang hinaus. Aber kein Menſch war noch da zu
ſehen, die Gänge und Stiegen ſtanden leer, der
ſteinerne Brunnen im Hofe rauſchte einförmig fort.
Sie giengen unruhig auf und ab; nirgends bemerk¬
ten ſie einen neuen Bau oder Verzierung an dem
Schloſſe, es ſchien nur das Alte grade zur Noth¬
durft zuſammengehalten. Bunte Blumen und kleine
grüne Bäumchen wuchſen hin und wieder auf dem
hohen Dache, zwiſchen denen Vögel luſtig ſangen.
Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem ab¬
gelegenſten und verfallenſten Theile des Schloſſes in
ein offenes, hochgelegenes Gemach, deſſen Wände
ſie mit Kohle bemahlt fanden. Es waren meiſt
flüchtige Umriſſe von mehr als lebensgroßen Figu¬
ren, Felſen und Bäumen, zum Theil halbverwiſcht
und unkenntlich. Gleich an der Thüre war eine
ſeltſame Figur, die ſie ſogleich für den Eulenſpiegel
erkannten. Auf der anderen Wand erkannte Frie¬

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[405/0411] ſen, das nicht vom Walde herzukommen ſchien, ſon¬ dern wie ferner Wellenſchlag tönte, brauste die ganze Nacht hindurch. Zweyundzwanzigſtes Kapitel. Kaum fieng der Morgen drauſſen an zu däm¬ mern, ſo ſprangen die Beyden ſchon von ihrem La¬ ger auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den Gang hinaus. Aber kein Menſch war noch da zu ſehen, die Gänge und Stiegen ſtanden leer, der ſteinerne Brunnen im Hofe rauſchte einförmig fort. Sie giengen unruhig auf und ab; nirgends bemerk¬ ten ſie einen neuen Bau oder Verzierung an dem Schloſſe, es ſchien nur das Alte grade zur Noth¬ durft zuſammengehalten. Bunte Blumen und kleine grüne Bäumchen wuchſen hin und wieder auf dem hohen Dache, zwiſchen denen Vögel luſtig ſangen. Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem ab¬ gelegenſten und verfallenſten Theile des Schloſſes in ein offenes, hochgelegenes Gemach, deſſen Wände ſie mit Kohle bemahlt fanden. Es waren meiſt flüchtige Umriſſe von mehr als lebensgroßen Figu¬ ren, Felſen und Bäumen, zum Theil halbverwiſcht und unkenntlich. Gleich an der Thüre war eine ſeltſame Figur, die ſie ſogleich für den Eulenſpiegel erkannten. Auf der anderen Wand erkannte Frie¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/411>, abgerufen am 23.11.2024.