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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem
Gesehenen. Kein Mensch war in der weiten Run¬
de zu hören, es grauste ihnen fast, länger in die¬
ser Verrückung so einsam zu verweilen und sie be¬
gaben sich daher schnell wieder ins Freye.

Sie durchstrichen darauf noch den anderen Theil
des Parks, der auf die alltäglichste Art mit
Trauerweiden, Baumgruppchen, Brückchen u. s. w.
angefüllt war. Auch die üblichen Aushängetafeln
mit Inschriften waren im Ueberfluß vorhanden, nur
mit dem Unterschiede, daß hier alle von einer unge¬
heueren Länge und Breite waren, so daß sie die
jungen Bäume, an denen sie befestiget, fast bis
auf die Erde herunterzogen. Unsere Reisenden ver¬
weilten verwundert hin und wieder, und lasen un¬
ter andern: "Wachsen, Blühen, Staubwerden."
-- Gleich daneben stand auf einer anderen Tafel
die erste Strophe von: "Freut euch des Lebens!"
u. s. w., nebst einigen Zotten.

So von groben Bäumen verfolgt, waren sie
endlich am anderen Ende des sonderbaren Parks
angekommen, wo derselbe wieder durch ein niedli¬
ches Zäunchen von dem Walde geschieden war.
Noch eine ungeheuere Inschrift begrüßte sie dort
folgendermaßen: "Gefühlvoller Wanderer! stehe
still und vergieße einige Thränen über deine Narr¬
heit!" Darunter stand nur noch halbleserlich mit
Bleystift geschrieben: "und dann kehre wieder um,
denn mir bist du doch nur langweilig." Nicht ohne
Bedeutung, wie es schien, stieß diese letzte Partie

Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem
Geſehenen. Kein Menſch war in der weiten Run¬
de zu hören, es grauste ihnen faſt, länger in die¬
ſer Verrückung ſo einſam zu verweilen und ſie be¬
gaben ſich daher ſchnell wieder ins Freye.

Sie durchſtrichen darauf noch den anderen Theil
des Parks, der auf die alltäglichſte Art mit
Trauerweiden, Baumgruppchen, Brückchen u. ſ. w.
angefüllt war. Auch die üblichen Aushängetafeln
mit Inſchriften waren im Ueberfluß vorhanden, nur
mit dem Unterſchiede, daß hier alle von einer unge¬
heueren Länge und Breite waren, ſo daß ſie die
jungen Bäume, an denen ſie befeſtiget, faſt bis
auf die Erde herunterzogen. Unſere Reiſenden ver¬
weilten verwundert hin und wieder, und laſen un¬
ter andern: „Wachſen, Blühen, Staubwerden.“
— Gleich daneben ſtand auf einer anderen Tafel
die erſte Strophe von: „Freut euch des Lebens!“
u. ſ. w., nebſt einigen Zotten.

So von groben Bäumen verfolgt, waren ſie
endlich am anderen Ende des ſonderbaren Parks
angekommen, wo derſelbe wieder durch ein niedli¬
ches Zäunchen von dem Walde geſchieden war.
Noch eine ungeheuere Inſchrift begrüßte ſie dort
folgendermaßen: „Gefühlvoller Wanderer! ſtehe
ſtill und vergieße einige Thränen über deine Narr¬
heit!“ Darunter ſtand nur noch halbleſerlich mit
Bleyſtift geſchrieben: „und dann kehre wieder um,
denn mir biſt du doch nur langweilig.“ Nicht ohne
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[391/0397] Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem Geſehenen. Kein Menſch war in der weiten Run¬ de zu hören, es grauste ihnen faſt, länger in die¬ ſer Verrückung ſo einſam zu verweilen und ſie be¬ gaben ſich daher ſchnell wieder ins Freye. Sie durchſtrichen darauf noch den anderen Theil des Parks, der auf die alltäglichſte Art mit Trauerweiden, Baumgruppchen, Brückchen u. ſ. w. angefüllt war. Auch die üblichen Aushängetafeln mit Inſchriften waren im Ueberfluß vorhanden, nur mit dem Unterſchiede, daß hier alle von einer unge¬ heueren Länge und Breite waren, ſo daß ſie die jungen Bäume, an denen ſie befeſtiget, faſt bis auf die Erde herunterzogen. Unſere Reiſenden ver¬ weilten verwundert hin und wieder, und laſen un¬ ter andern: „Wachſen, Blühen, Staubwerden.“ — Gleich daneben ſtand auf einer anderen Tafel die erſte Strophe von: „Freut euch des Lebens!“ u. ſ. w., nebſt einigen Zotten. So von groben Bäumen verfolgt, waren ſie endlich am anderen Ende des ſonderbaren Parks angekommen, wo derſelbe wieder durch ein niedli¬ ches Zäunchen von dem Walde geſchieden war. Noch eine ungeheuere Inſchrift begrüßte ſie dort folgendermaßen: „Gefühlvoller Wanderer! ſtehe ſtill und vergieße einige Thränen über deine Narr¬ heit!“ Darunter ſtand nur noch halbleſerlich mit Bleyſtift geſchrieben: „und dann kehre wieder um, denn mir biſt du doch nur langweilig.“ Nicht ohne Bedeutung, wie es ſchien, ſtieß dieſe letzte Partie

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/397>, abgerufen am 25.11.2024.