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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Das Stübchen, das sie in Beschlag nahmen,
war eng und nur zur Noth vor dem Wetter ver¬
wahrt. Ein Bett, das Julie für Leontin mitge¬
bracht hatte, wurde vertheilt und nebst einigem
Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet, so daß es
für alle drey hinreichte; Licht wagte man nicht zu
brennen. Die beyden Grafen nahmen das Fräulein
in ihre Mitte, Leontin war vor Müdigkeit bald
entschlafen. Friedrich bemerkte, wie Julie sich fest
aufs Ohr legte und that als ob sie schliefe, wäh¬
rend sie beyde Augen lauschend weit offen hatte und
Leontinen in einemfort ungestört betrachtete, bis sie
endlich auch mit einschlummerte.

Friedrich hatte sich mit halbem Leibe aufgerich¬
tet und sah sich, auf den einen Arm gestützt,
ringsum. Ein Schauder überlief ihn, sich wieder
an demselben Orte zu erblicken, wo er damals die
grausige Nacht verlebt. Er gedachte des jungen
Mädchens wieder, das ihm damals in dieser Stube
hier Feuer gepickt hatte, ihm fiel dabey die räth¬
selhafte Gestalt ein, die er heut bey seiner Ankunft
vor der Mühle getroffen, und ihre flüchtige Aehn¬
lichkeit mit jener, und er versank in ein Meer von
Erinnerungen und Verwirrung. Julien hörte er
leise neben sich athmen, es war eine unendlich stille,
mondhelle Nacht.

Da erhob sich auf einmal draussen ein Gesang,
von einer Zitter begleitet, zuerst vom Walde, dann
wie aus der Ferne melodisch schallend, das Haus
mit wunderschönen Weisen erfüllend, dann wieder

Das Stübchen, das ſie in Beſchlag nahmen,
war eng und nur zur Noth vor dem Wetter ver¬
wahrt. Ein Bett, das Julie für Leontin mitge¬
bracht hatte, wurde vertheilt und nebſt einigem
Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet, ſo daß es
für alle drey hinreichte; Licht wagte man nicht zu
brennen. Die beyden Grafen nahmen das Fräulein
in ihre Mitte, Leontin war vor Müdigkeit bald
entſchlafen. Friedrich bemerkte, wie Julie ſich feſt
aufs Ohr legte und that als ob ſie ſchliefe, wäh¬
rend ſie beyde Augen lauſchend weit offen hatte und
Leontinen in einemfort ungeſtört betrachtete, bis ſie
endlich auch mit einſchlummerte.

Friedrich hatte ſich mit halbem Leibe aufgerich¬
tet und ſah ſich, auf den einen Arm geſtützt,
ringsum. Ein Schauder überlief ihn, ſich wieder
an demſelben Orte zu erblicken, wo er damals die
grauſige Nacht verlebt. Er gedachte des jungen
Mädchens wieder, das ihm damals in dieſer Stube
hier Feuer gepickt hatte, ihm fiel dabey die räth¬
ſelhafte Geſtalt ein, die er heut bey ſeiner Ankunft
vor der Mühle getroffen, und ihre flüchtige Aehn¬
lichkeit mit jener, und er verſank in ein Meer von
Erinnerungen und Verwirrung. Julien hörte er
leiſe neben ſich athmen, es war eine unendlich ſtille,
mondhelle Nacht.

Da erhob ſich auf einmal drauſſen ein Geſang,
von einer Zitter begleitet, zuerſt vom Walde, dann
wie aus der Ferne melodiſch ſchallend, das Haus
mit wunderſchönen Weiſen erfüllend, dann wieder

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[376/0382] Das Stübchen, das ſie in Beſchlag nahmen, war eng und nur zur Noth vor dem Wetter ver¬ wahrt. Ein Bett, das Julie für Leontin mitge¬ bracht hatte, wurde vertheilt und nebſt einigem Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet, ſo daß es für alle drey hinreichte; Licht wagte man nicht zu brennen. Die beyden Grafen nahmen das Fräulein in ihre Mitte, Leontin war vor Müdigkeit bald entſchlafen. Friedrich bemerkte, wie Julie ſich feſt aufs Ohr legte und that als ob ſie ſchliefe, wäh¬ rend ſie beyde Augen lauſchend weit offen hatte und Leontinen in einemfort ungeſtört betrachtete, bis ſie endlich auch mit einſchlummerte. Friedrich hatte ſich mit halbem Leibe aufgerich¬ tet und ſah ſich, auf den einen Arm geſtützt, ringsum. Ein Schauder überlief ihn, ſich wieder an demſelben Orte zu erblicken, wo er damals die grauſige Nacht verlebt. Er gedachte des jungen Mädchens wieder, das ihm damals in dieſer Stube hier Feuer gepickt hatte, ihm fiel dabey die räth¬ ſelhafte Geſtalt ein, die er heut bey ſeiner Ankunft vor der Mühle getroffen, und ihre flüchtige Aehn¬ lichkeit mit jener, und er verſank in ein Meer von Erinnerungen und Verwirrung. Julien hörte er leiſe neben ſich athmen, es war eine unendlich ſtille, mondhelle Nacht. Da erhob ſich auf einmal drauſſen ein Geſang, von einer Zitter begleitet, zuerſt vom Walde, dann wie aus der Ferne melodiſch ſchallend, das Haus mit wunderſchönen Weiſen erfüllend, dann wieder

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/382>, abgerufen am 25.11.2024.