Von blutigen Tropfen naß, Zwey blutige Streiffen sich schlangen, Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.
Er grüßt' sie so fürchterlich heiter,
Er heißt sie sein' liebliche Braut, Da kannt' sie mit Schaudern den Reiter, Fällt nieder auf ihre Knie.
Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter,
Auf die schneeweiße Brust hin; "Ach, wie ist das Sterben so bitter, Erbarm' dich, weil ich so jung noch bin!" --
Stumm blieb sein steinerner Wille,
Es blitzte so rosenroth, Da wurd' es auf einmal stille Im Walde und Haus und Hof. --
Frühmorgens da lag so schaurig,
Verfallen im Walde das Haus, Ein Waldvöglein sang so traurig, Flog fort über den See hinaus.
Gegen das Ende ihres Gesanges hatte Julie von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den Garten warf. Sie sah sich stutzend um, und da sie nichts erblicken konnte, schloß sie nachdenklich und schweigend das Fenster. In diesem Augenblick klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬ schrocken zusammen und vom Fenster auf. Ich blick¬ te noch einmal hinein und sah jenen gehäßigen Rei¬ ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten.
Er
Die Haare wild umgehangen,
Von blutigen Tropfen naß, Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen, Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.
Er grüßt' ſie ſo fürchterlich heiter,
Er heißt ſie ſein' liebliche Braut, Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter, Fällt nieder auf ihre Knie.
Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter,
Auf die ſchneeweiße Bruſt hin; „Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter, Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ —
Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,
Es blitzte ſo roſenroth, Da wurd' es auf einmal ſtille Im Walde und Haus und Hof. —
Frühmorgens da lag ſo ſchaurig,
Verfallen im Walde das Haus, Ein Waldvöglein ſang ſo traurig, Flog fort über den See hinaus.
Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den Garten warf. Sie ſah ſich ſtutzend um, und da ſie nichts erblicken konnte, ſchloß ſie nachdenklich und ſchweigend das Fenſter. In dieſem Augenblick klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬ ſchrocken zuſammen und vom Fenſter auf. Ich blick¬ te noch einmal hinein und ſah jenen gehäßigen Rei¬ ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten.
Er
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Die Haare wild umgehangen,
Von blutigen Tropfen naß,
Zwey blutige Streiffen ſich ſchlangen,
Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß.
Er grüßt' ſie ſo fürchterlich heiter,
Er heißt ſie ſein' liebliche Braut,
Da kannt' ſie mit Schaudern den Reiter,
Fällt nieder auf ihre Knie.
Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter,
Auf die ſchneeweiße Bruſt hin;
„Ach, wie iſt das Sterben ſo bitter,
Erbarm' dich, weil ich ſo jung noch bin!“ —
Stumm blieb ſein ſteinerner Wille,
Es blitzte ſo roſenroth,
Da wurd' es auf einmal ſtille
Im Walde und Haus und Hof. —
Frühmorgens da lag ſo ſchaurig,
Verfallen im Walde das Haus,
Ein Waldvöglein ſang ſo traurig,
Flog fort über den See hinaus.
Gegen das Ende ihres Geſanges hatte Julie
von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das
Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den
Garten warf. Sie ſah ſich ſtutzend um, und da ſie
nichts erblicken konnte, ſchloß ſie nachdenklich und
ſchweigend das Fenſter. In dieſem Augenblick
klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬
ſchrocken zuſammen und vom Fenſter auf. Ich blick¬
te noch einmal hinein und ſah jenen gehäßigen Rei¬
ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten.
Er
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/374>, abgerufen am 16.02.2025.
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