Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬ beiten, wie man etwa spazieren geht, um sich Mo¬ tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬ derwärtigkeit. Wäre ich recht arm gewesen, ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute überredet, es geschehe alles um des Staates wil¬ len, wie die anderen thun. Unter solchen morali¬ schen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort, und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid, wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameisen¬ haufen und Maulwurfshügeln, so tief unter mir lagen; denn ich habe nie mehr Menschenliebe, als wenn ich weit von den Menschen bin. Da wurde es nach und nach schwül und immer schwüler unten über dem deutschen Reiche, die Donau sah ich wie eine silberne Schlange durch das unendliche, blau¬ schwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, schwer und langsam standen am äussersten Horizonte gegen¬ einander auf; sie blizten und donnerten noch nicht, es war eine erschreckliche Stille. -- Ich erinnere mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬ lich die ersten Soldaten unten über die Hügel kom¬ men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen sah.
Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬ schah, ist Dir bekannt. Nach der großen Schlacht, die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬ hörte, erschlagen und zersprengt, ich selber von den Meinigen getrennt. Ich suchte durch verschiedene
Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬ beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬ tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬ derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬ len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬ ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort, und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid, wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬ haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬ ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬ einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht, es war eine erſchreckliche Stille. — Ich erinnere mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬ lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬ men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen ſah.
Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬ ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht, die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬ hörte, erſchlagen und zerſprengt, ich ſelber von den Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0367"n="361"/>
Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬<lb/>
beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬<lb/>
tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬<lb/>
derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich<lb/>
hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um<lb/>
mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute<lb/>
überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬<lb/>
len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬<lb/>ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort,<lb/>
und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid,<lb/>
wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬<lb/>
haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir<lb/>
lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als<lb/>
wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde<lb/>
es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten<lb/>
über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie<lb/>
eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬<lb/>ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer<lb/>
und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬<lb/>
einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht,<lb/>
es war eine erſchreckliche Stille. — Ich erinnere<lb/>
mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬<lb/>
lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬<lb/>
men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen<lb/>ſah.</p><lb/><p>Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬<lb/>ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht,<lb/>
die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬<lb/>
hörte, erſchlagen und zerſprengt, ich ſelber von den<lb/>
Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[361/0367]
Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬
beiten, wie man etwa ſpazieren geht, um ſich Mo¬
tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬
derwärtigkeit. Wäre ich recht arm geweſen, ich
hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um
mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute
überredet, es geſchehe alles um des Staates wil¬
len, wie die anderen thun. Unter ſolchen morali¬
ſchen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort,
und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid,
wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameiſen¬
haufen und Maulwurfshügeln, ſo tief unter mir
lagen; denn ich habe nie mehr Menſchenliebe, als
wenn ich weit von den Menſchen bin. Da wurde
es nach und nach ſchwül und immer ſchwüler unten
über dem deutſchen Reiche, die Donau ſah ich wie
eine ſilberne Schlange durch das unendliche, blau¬
ſchwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, ſchwer
und langſam ſtanden am äuſſerſten Horizonte gegen¬
einander auf; ſie blizten und donnerten noch nicht,
es war eine erſchreckliche Stille. — Ich erinnere
mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬
lich die erſten Soldaten unten über die Hügel kom¬
men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen
ſah.
Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬
ſchah, iſt Dir bekannt. Nach der großen Schlacht,
die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬
hörte, erſchlagen und zerſprengt, ich ſelber von den
Meinigen getrennt. Ich ſuchte durch verſchiedene
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/367>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.