So oft ich mich rückwärts umsah, sah ich hinten nichts als ein gränzenloses Abendroth und in dem Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß sehr groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue stehen, immerfort so still nach uns zugewendet, daß ich vor Grauen davon wegsehen mußte. Es war unterdeß Nacht geworden und ich sah vor uns un¬ zählige Schlösser auf den Bergen brennen. Jenseits wanderten in dem Scheine, der von den brennenden Schlössern kam, viele Leute mit Weib und Kindern wie Vertriebene, sie waren alle in seltsamer, uralter Tracht; es kam mir vor, als säh' ich auch meinen Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir war unbeschreiblich bange. Wie wir so fortgien¬ gen, schien es mir, als würde Friedrich selbst nach und nach immer größer und größer. Er war still und seine Mienen veränderten sich seltsam, so daß ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes, blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns her den Weg aushaute; so oft er es schwang, warf es einen weitblitzenden Schein über den Himmel und über die Gegend unten. Vor ihm gieng sein langer Schatten, wie ein Riese, weit über alle Thäler gestreckt. Die Gegend wurde indeß immer seltsamer und wilder, wir giengen zwischen himmel¬ hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen Strom kamen, giengen wir auf unseren eigenen Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬ men so auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬
20 *
So oft ich mich rückwärts umſah, ſah ich hinten nichts als ein gränzenloſes Abendroth und in dem Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß ſehr groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue ſtehen, immerfort ſo ſtill nach uns zugewendet, daß ich vor Grauen davon wegſehen mußte. Es war unterdeß Nacht geworden und ich ſah vor uns un¬ zählige Schlöſſer auf den Bergen brennen. Jenſeits wanderten in dem Scheine, der von den brennenden Schlöſſern kam, viele Leute mit Weib und Kindern wie Vertriebene, ſie waren alle in ſeltſamer, uralter Tracht; es kam mir vor, als ſäh' ich auch meinen Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir war unbeſchreiblich bange. Wie wir ſo fortgien¬ gen, ſchien es mir, als würde Friedrich ſelbſt nach und nach immer größer und größer. Er war ſtill und ſeine Mienen veränderten ſich ſeltſam, ſo daß ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes, blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns her den Weg aushaute; ſo oft er es ſchwang, warf es einen weitblitzenden Schein über den Himmel und über die Gegend unten. Vor ihm gieng ſein langer Schatten, wie ein Rieſe, weit über alle Thäler geſtreckt. Die Gegend wurde indeß immer ſeltſamer und wilder, wir giengen zwiſchen himmel¬ hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen Strom kamen, giengen wir auf unſeren eigenen Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬ men ſo auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬
20 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0313"n="307"/>
So oft ich mich rückwärts umſah, ſah ich hinten<lb/>
nichts als ein gränzenloſes Abendroth und in dem<lb/>
Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß ſehr<lb/>
groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue<lb/>ſtehen, immerfort ſo ſtill nach uns zugewendet, daß<lb/>
ich vor Grauen davon wegſehen mußte. Es war<lb/>
unterdeß Nacht geworden und ich ſah vor uns un¬<lb/>
zählige Schlöſſer auf den Bergen brennen. Jenſeits<lb/>
wanderten in dem Scheine, der von den brennenden<lb/>
Schlöſſern kam, viele Leute mit Weib und Kindern<lb/>
wie Vertriebene, ſie waren alle in ſeltſamer, uralter<lb/>
Tracht; es kam mir vor, als ſäh' ich auch meinen<lb/>
Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir<lb/>
war unbeſchreiblich bange. Wie wir ſo fortgien¬<lb/>
gen, ſchien es mir, als würde Friedrich ſelbſt nach<lb/>
und nach immer größer und größer. Er war ſtill<lb/>
und ſeine Mienen veränderten ſich ſeltſam, ſo daß<lb/>
ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes,<lb/>
blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns<lb/>
her den Weg aushaute; ſo oft er es ſchwang, warf<lb/>
es einen weitblitzenden Schein über den Himmel<lb/>
und über die Gegend unten. Vor ihm gieng ſein<lb/>
langer Schatten, wie ein Rieſe, weit über alle<lb/>
Thäler geſtreckt. Die Gegend wurde indeß immer<lb/>ſeltſamer und wilder, wir giengen zwiſchen himmel¬<lb/>
hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen<lb/>
Strom kamen, giengen wir auf unſeren eigenen<lb/>
Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬<lb/>
men ſo auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[307/0313]
So oft ich mich rückwärts umſah, ſah ich hinten
nichts als ein gränzenloſes Abendroth und in dem
Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß ſehr
groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue
ſtehen, immerfort ſo ſtill nach uns zugewendet, daß
ich vor Grauen davon wegſehen mußte. Es war
unterdeß Nacht geworden und ich ſah vor uns un¬
zählige Schlöſſer auf den Bergen brennen. Jenſeits
wanderten in dem Scheine, der von den brennenden
Schlöſſern kam, viele Leute mit Weib und Kindern
wie Vertriebene, ſie waren alle in ſeltſamer, uralter
Tracht; es kam mir vor, als ſäh' ich auch meinen
Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir
war unbeſchreiblich bange. Wie wir ſo fortgien¬
gen, ſchien es mir, als würde Friedrich ſelbſt nach
und nach immer größer und größer. Er war ſtill
und ſeine Mienen veränderten ſich ſeltſam, ſo daß
ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes,
blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns
her den Weg aushaute; ſo oft er es ſchwang, warf
es einen weitblitzenden Schein über den Himmel
und über die Gegend unten. Vor ihm gieng ſein
langer Schatten, wie ein Rieſe, weit über alle
Thäler geſtreckt. Die Gegend wurde indeß immer
ſeltſamer und wilder, wir giengen zwiſchen himmel¬
hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen
Strom kamen, giengen wir auf unſeren eigenen
Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬
men ſo auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬
20 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/313>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.