kleine süsse Maus? -- Der Jäger sagte: Mein Schatz ist ein Hirsch, der wandelt in einer prächti¬ gen Wildniß, die liegt so unbeschreiblich hoch und einsam und die ganze Welt übersieht man von dort, wie sich die Sonne ringsum in Seen und Flüssen und allen Kreaturen wunderbar bespiegelt. Es ist des Jägers dunkelwüste Lust, das Schönste, was ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abschied von seinem alten Leben und folgte dem Hirsche im¬ mer höher mühsam hinauf. Als die Sonne auf¬ gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd an. Da wandte sich der Hirsch plötzlich und sah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus. Da verließen den Jäger auf einmal seine Künste und seine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬ knieen wie jener, denn ihm schwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein seltsamer Gelust, die dunkle Mündung auf seine eigne ausge¬ storbene Brust zu kehren. --
Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬ de der sich nach und nach zu erheben anfieng, diese sonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬ tze erhellten inzwischen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Gesichter der beyden Jäger. Sie waren gar lieblich anzusehen, schienen beyde noch Knaben. Der eine hatte ein silbernes Horn an der Seite hängen. Leontin sagte, er solle eins blasen; er versicherte aber, daß er es nicht könne. Leontin lachte ihn aus, was sie für Jäger
wären,
kleine ſüſſe Maus? — Der Jäger ſagte: Mein Schatz iſt ein Hirſch, der wandelt in einer prächti¬ gen Wildniß, die liegt ſo unbeſchreiblich hoch und einſam und die ganze Welt überſieht man von dort, wie ſich die Sonne ringsum in Seen und Flüſſen und allen Kreaturen wunderbar beſpiegelt. Es iſt des Jägers dunkelwüſte Luſt, das Schönſte, was ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abſchied von ſeinem alten Leben und folgte dem Hirſche im¬ mer höher mühſam hinauf. Als die Sonne auf¬ gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd an. Da wandte ſich der Hirſch plötzlich und ſah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus. Da verließen den Jäger auf einmal ſeine Künſte und ſeine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬ knieen wie jener, denn ihm ſchwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein ſeltſamer Geluſt, die dunkle Mündung auf ſeine eigne ausge¬ ſtorbene Bruſt zu kehren. —
Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬ de der ſich nach und nach zu erheben anfieng, dieſe ſonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬ tze erhellten inzwiſchen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Geſichter der beyden Jäger. Sie waren gar lieblich anzuſehen, ſchienen beyde noch Knaben. Der eine hatte ein ſilbernes Horn an der Seite hängen. Leontin ſagte, er ſolle eins blaſen; er verſicherte aber, daß er es nicht könne. Leontin lachte ihn aus, was ſie für Jäger
wären,
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kleine ſüſſe Maus? — Der Jäger ſagte: Mein
Schatz iſt ein Hirſch, der wandelt in einer prächti¬
gen Wildniß, die liegt ſo unbeſchreiblich hoch und
einſam und die ganze Welt überſieht man von dort,
wie ſich die Sonne ringsum in Seen und Flüſſen
und allen Kreaturen wunderbar beſpiegelt. Es iſt
des Jägers dunkelwüſte Luſt, das Schönſte, was
ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abſchied
von ſeinem alten Leben und folgte dem Hirſche im¬
mer höher mühſam hinauf. Als die Sonne auf¬
gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd
an. Da wandte ſich der Hirſch plötzlich und ſah
ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus.
Da verließen den Jäger auf einmal ſeine Künſte
und ſeine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬
knieen wie jener, denn ihm ſchwindelte vor dem
Blick und der Höhe und es faßte ihn ein ſeltſamer
Geluſt, die dunkle Mündung auf ſeine eigne ausge¬
ſtorbene Bruſt zu kehren. —
Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬
de der ſich nach und nach zu erheben anfieng, dieſe
ſonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬
tze erhellten inzwiſchen von Zeit zu Zeit die Gegend
und ihr Schein fiel auf die Geſichter der beyden
Jäger. Sie waren gar lieblich anzuſehen, ſchienen
beyde noch Knaben. Der eine hatte ein ſilbernes
Horn an der Seite hängen. Leontin ſagte, er ſolle
eins blaſen; er verſicherte aber, daß er es nicht
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/294>, abgerufen am 22.11.2024.
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