Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reisefer¬ tig. Friedrich erstaunte, ihn auf einmal ganz mun¬ ter und gesund zu sehen. Mit funkelnden Augen sprang er mit in den Wagen, und so rasselten sie durch das stille Thor ins Freye hinaus.
Sie fuhren schnell, durch unübersehbar stille Felder, durch einen dunkeldichten Wald, später zwi¬ schen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch Städtlein zu liegen schien, ein Fluß, den sie nicht sahen, rauschte immerfort seitwärts unter der Stra¬ ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein Mährchen, mit den wechselnden Wundern der Nacht, wie sie sich die Seele ausmahlte, in Worten kühle spielend. Friedrich schaute still in die Nacht, Erwin ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬ ausgesetzt, so lange es dunkel war, auf ihn gehef¬ tet schienen, der Postillon blies oft dazwischen. Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu hellen, sie erkannten nach und nach ihre Gesichter wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen schwirr¬ ten schon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬ ten ihr endloses Lied, es wurde herrlich kühl.
Bald darauf langten sie an dem Gebirgsstädt¬ chen an, wohin sie wollten. Das Thor war noch geschlossen. Der Thorwächter trat schlaftrunken her¬ aus, wünschte ihnen einen guten Morgen und prieß die Reisenden glückselig und beneidenswerth in die¬ ser Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles leer und still. Nur einzelne Nachtigallen von den Fenstern und unzählige von den Bergen über dem
Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reiſefer¬ tig. Friedrich erſtaunte, ihn auf einmal ganz mun¬ ter und geſund zu ſehen. Mit funkelnden Augen ſprang er mit in den Wagen, und ſo raſſelten ſie durch das ſtille Thor ins Freye hinaus.
Sie fuhren ſchnell, durch unüberſehbar ſtille Felder, durch einen dunkeldichten Wald, ſpäter zwi¬ ſchen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch Städtlein zu liegen ſchien, ein Fluß, den ſie nicht ſahen, rauſchte immerfort ſeitwärts unter der Stra¬ ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein Mährchen, mit den wechſelnden Wundern der Nacht, wie ſie ſich die Seele ausmahlte, in Worten kühle ſpielend. Friedrich ſchaute ſtill in die Nacht, Erwin ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬ ausgeſetzt, ſo lange es dunkel war, auf ihn gehef¬ tet ſchienen, der Poſtillon blies oft dazwiſchen. Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu hellen, ſie erkannten nach und nach ihre Geſichter wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen ſchwirr¬ ten ſchon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬ ten ihr endloſes Lied, es wurde herrlich kühl.
Bald darauf langten ſie an dem Gebirgsſtädt¬ chen an, wohin ſie wollten. Das Thor war noch geſchloſſen. Der Thorwächter trat ſchlaftrunken her¬ aus, wünſchte ihnen einen guten Morgen und prieß die Reiſenden glückſelig und beneidenswerth in die¬ ſer Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles leer und ſtill. Nur einzelne Nachtigallen von den Fenſtern und unzählige von den Bergen über dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0283"n="277"/>
Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reiſefer¬<lb/>
tig. Friedrich erſtaunte, ihn auf einmal ganz mun¬<lb/>
ter und geſund zu ſehen. Mit funkelnden Augen<lb/>ſprang er mit in den Wagen, und ſo raſſelten ſie<lb/>
durch das ſtille Thor ins Freye hinaus.</p><lb/><p>Sie fuhren ſchnell, durch unüberſehbar ſtille<lb/>
Felder, durch einen dunkeldichten Wald, ſpäter zwi¬<lb/>ſchen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch<lb/>
Städtlein zu liegen ſchien, ein Fluß, den ſie nicht<lb/>ſahen, rauſchte immerfort ſeitwärts unter der Stra¬<lb/>
ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein<lb/>
Mährchen, mit den wechſelnden Wundern der Nacht,<lb/>
wie ſie ſich die Seele ausmahlte, in Worten kühle<lb/>ſpielend. Friedrich ſchaute ſtill in die Nacht, Erwin<lb/>
ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬<lb/>
ausgeſetzt, ſo lange es dunkel war, auf ihn gehef¬<lb/>
tet ſchienen, der Poſtillon blies oft dazwiſchen.<lb/>
Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu<lb/>
hellen, ſie erkannten nach und nach ihre Geſichter<lb/>
wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen ſchwirr¬<lb/>
ten ſchon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬<lb/>
ten ihr endloſes Lied, es wurde herrlich kühl.</p><lb/><p>Bald darauf langten ſie an dem Gebirgsſtädt¬<lb/>
chen an, wohin ſie wollten. Das Thor war noch<lb/>
geſchloſſen. Der Thorwächter trat ſchlaftrunken her¬<lb/>
aus, wünſchte ihnen einen guten Morgen und prieß<lb/>
die Reiſenden glückſelig und beneidenswerth in die¬<lb/>ſer Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles<lb/>
leer und ſtill. Nur einzelne Nachtigallen von den<lb/>
Fenſtern und unzählige von den Bergen über dem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[277/0283]
Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reiſefer¬
tig. Friedrich erſtaunte, ihn auf einmal ganz mun¬
ter und geſund zu ſehen. Mit funkelnden Augen
ſprang er mit in den Wagen, und ſo raſſelten ſie
durch das ſtille Thor ins Freye hinaus.
Sie fuhren ſchnell, durch unüberſehbar ſtille
Felder, durch einen dunkeldichten Wald, ſpäter zwi¬
ſchen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch
Städtlein zu liegen ſchien, ein Fluß, den ſie nicht
ſahen, rauſchte immerfort ſeitwärts unter der Stra¬
ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein
Mährchen, mit den wechſelnden Wundern der Nacht,
wie ſie ſich die Seele ausmahlte, in Worten kühle
ſpielend. Friedrich ſchaute ſtill in die Nacht, Erwin
ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬
ausgeſetzt, ſo lange es dunkel war, auf ihn gehef¬
tet ſchienen, der Poſtillon blies oft dazwiſchen.
Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu
hellen, ſie erkannten nach und nach ihre Geſichter
wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen ſchwirr¬
ten ſchon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬
ten ihr endloſes Lied, es wurde herrlich kühl.
Bald darauf langten ſie an dem Gebirgsſtädt¬
chen an, wohin ſie wollten. Das Thor war noch
geſchloſſen. Der Thorwächter trat ſchlaftrunken her¬
aus, wünſchte ihnen einen guten Morgen und prieß
die Reiſenden glückſelig und beneidenswerth in die¬
ſer Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles
leer und ſtill. Nur einzelne Nachtigallen von den
Fenſtern und unzählige von den Bergen über dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/283>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.