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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Als Friedrich des Abends an Erwins Thüre
kam, hörte er ihn d'rinn nach einer rührenden Me¬
lodie ohne alle Begleitung eines Instruments fol¬
gende Worte singen:

Ich kann wohl manchmal singen,
Als ob ich fröhlich sey,
Doch heimlich Thränen dringen,
Da wird das Herz mir frey.
So lassen Nachtigallen,
Spielt draussen Frühlingsluft,
Der Sehnsucht Lied erschallen,
Aus ihres Käfigts Gruft.
Da lauschen alle Herzen,
Und alles ist erfreut,
Doch keiner fühlt die Schmerzen,
Im Lied das tiefe Leid.

Friedrich trat während der letzten Strophe un¬
bemerkt in die Stube. Der Knabe ruhte auf dem
Bett und sang so liegend mit geschlossenen Augen.

Er richtete sich schnell auf, als er Friedrich'n
erblickte. Ich bin nicht krank, sagte er, gewiß
nicht! -- damit sprang er auf. Er war sehr blaß.
Er zwang sich, munter zu scheinen, lachte und
sprach mehr und lustiger als gewöhnlich. Dann
klagte er über Kopfweh. -- Friedrich strich ihm die
nußbraunen Locken aus den Augen. Thu' mir nicht
schön, ich bitte Dich! -- sagte der Knabe da son¬
derbar und wie mit verhaltenen Thränen.

18 *

Als Friedrich des Abends an Erwins Thüre
kam, hörte er ihn d'rinn nach einer rührenden Me¬
lodie ohne alle Begleitung eines Inſtruments fol¬
gende Worte ſingen:

Ich kann wohl manchmal ſingen,
Als ob ich fröhlich ſey,
Doch heimlich Thränen dringen,
Da wird das Herz mir frey.
So laſſen Nachtigallen,
Spielt drauſſen Frühlingsluft,
Der Sehnſucht Lied erſchallen,
Aus ihres Käfigts Gruft.
Da lauſchen alle Herzen,
Und alles iſt erfreut,
Doch keiner fühlt die Schmerzen,
Im Lied das tiefe Leid.

Friedrich trat während der letzten Strophe un¬
bemerkt in die Stube. Der Knabe ruhte auf dem
Bett und ſang ſo liegend mit geſchloſſenen Augen.

Er richtete ſich ſchnell auf, als er Friedrich'n
erblickte. Ich bin nicht krank, ſagte er, gewiß
nicht! — damit ſprang er auf. Er war ſehr blaß.
Er zwang ſich, munter zu ſcheinen, lachte und
ſprach mehr und luſtiger als gewöhnlich. Dann
klagte er über Kopfweh. — Friedrich ſtrich ihm die
nußbraunen Locken aus den Augen. Thu' mir nicht
ſchön, ich bitte Dich! — ſagte der Knabe da ſon¬
derbar und wie mit verhaltenen Thränen.

18 *
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[275/0281] Als Friedrich des Abends an Erwins Thüre kam, hörte er ihn d'rinn nach einer rührenden Me¬ lodie ohne alle Begleitung eines Inſtruments fol¬ gende Worte ſingen: Ich kann wohl manchmal ſingen, Als ob ich fröhlich ſey, Doch heimlich Thränen dringen, Da wird das Herz mir frey. So laſſen Nachtigallen, Spielt drauſſen Frühlingsluft, Der Sehnſucht Lied erſchallen, Aus ihres Käfigts Gruft. Da lauſchen alle Herzen, Und alles iſt erfreut, Doch keiner fühlt die Schmerzen, Im Lied das tiefe Leid. Friedrich trat während der letzten Strophe un¬ bemerkt in die Stube. Der Knabe ruhte auf dem Bett und ſang ſo liegend mit geſchloſſenen Augen. Er richtete ſich ſchnell auf, als er Friedrich'n erblickte. Ich bin nicht krank, ſagte er, gewiß nicht! — damit ſprang er auf. Er war ſehr blaß. Er zwang ſich, munter zu ſcheinen, lachte und ſprach mehr und luſtiger als gewöhnlich. Dann klagte er über Kopfweh. — Friedrich ſtrich ihm die nußbraunen Locken aus den Augen. Thu' mir nicht ſchön, ich bitte Dich! — ſagte der Knabe da ſon¬ derbar und wie mit verhaltenen Thränen. 18 *

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/281>, abgerufen am 22.11.2024.