auf das Bett gelehnt. Die langen schwarzen Haa¬ re hiengen aufgelöst über den weißen Nacken und Busen herab. Er betrachtete die wunderschöne Ge¬ stalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet. Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er schon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte hinaus; das Singen kam jenseits von den Bergen über die stille Gegend herüber, er konnte folgende Worte verstehen:
Vergangen ist der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glocken Schlag So reist die Zeit die ganze Nacht, Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.
Wo ist nun hin die bunte Lust,
Des Freundes Trost und treue Brust, Des Weibes süßer Augenschein? Will keiner mit mir munter seyn?
Da's nun so stille auf der Welt,
Zieh'n Wolken einsam übers Feld, Und Feld und Baum besprechen sich, -- O Menschenkind! was schauert dich?
Wie weit die falsche Welt auch sey,
Bleibt mir doch Einer nur getreu, Der mit mir weint, der mit mir wacht, Wenn ich nur recht an Ihn gedacht.
Frischauf denn, liebe Nachtigall,
Du Wasserfall mit hellem Schall! Gott loben wollen wir vereint, Bis daß der lichte Morgen scheint!
auf das Bett gelehnt. Die langen ſchwarzen Haa¬ re hiengen aufgelöſt über den weißen Nacken und Buſen herab. Er betrachtete die wunderſchöne Ge¬ ſtalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet. Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er ſchon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte hinaus; das Singen kam jenſeits von den Bergen über die ſtille Gegend herüber, er konnte folgende Worte verſtehen:
Vergangen iſt der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glocken Schlag So reist die Zeit die ganze Nacht, Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.
Wo iſt nun hin die bunte Luſt,
Des Freundes Troſt und treue Bruſt, Des Weibes ſüßer Augenſchein? Will keiner mit mir munter ſeyn?
Da's nun ſo ſtille auf der Welt,
Zieh'n Wolken einſam übers Feld, Und Feld und Baum beſprechen ſich, — O Menſchenkind! was ſchauert dich?
Wie weit die falſche Welt auch ſey,
Bleibt mir doch Einer nur getreu, Der mit mir weint, der mit mir wacht, Wenn ich nur recht an Ihn gedacht.
Friſchauf denn, liebe Nachtigall,
Du Waſſerfall mit hellem Schall! Gott loben wollen wir vereint, Bis daß der lichte Morgen ſcheint!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0253"n="247"/>
auf das Bett gelehnt. Die langen ſchwarzen Haa¬<lb/>
re hiengen aufgelöſt über den weißen Nacken und<lb/>
Buſen herab. Er betrachtete die wunderſchöne Ge¬<lb/>ſtalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet.<lb/>
Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er<lb/>ſchon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte<lb/>
hinaus; das Singen kam jenſeits von den Bergen<lb/>
über die ſtille Gegend herüber, er konnte folgende<lb/>
Worte verſtehen:</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><lrendition="#et">Vergangen iſt der lichte Tag,</l><lb/><l>Von ferne kommt der Glocken Schlag</l><lb/><l>So reist die Zeit die ganze Nacht,</l><lb/><l>Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.</l><lb/></lg><lgn="2"><lrendition="#et">Wo iſt nun hin die bunte Luſt,</l><lb/><l>Des Freundes Troſt und treue Bruſt,</l><lb/><l>Des Weibes ſüßer Augenſchein?</l><lb/><l>Will keiner mit mir munter ſeyn?</l><lb/></lg><lgn="3"><lrendition="#et">Da's nun ſo ſtille auf der Welt,</l><lb/><l>Zieh'n Wolken einſam übers Feld,</l><lb/><l>Und Feld und Baum beſprechen ſich, —</l><lb/><l>O Menſchenkind! was ſchauert dich?</l><lb/></lg><lgn="4"><lrendition="#et">Wie weit die falſche Welt auch ſey,</l><lb/><l>Bleibt mir doch Einer nur getreu,</l><lb/><l>Der mit mir weint, der mit mir wacht,</l><lb/><l>Wenn ich nur recht an Ihn gedacht.</l><lb/></lg><lgn="5"><lrendition="#et">Friſchauf denn, liebe Nachtigall,</l><lb/><l>Du Waſſerfall mit hellem Schall!</l><lb/><l><hirendition="#g">Gott</hi> loben wollen wir vereint,</l><lb/><l>Bis daß der lichte Morgen ſcheint!</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[247/0253]
auf das Bett gelehnt. Die langen ſchwarzen Haa¬
re hiengen aufgelöſt über den weißen Nacken und
Buſen herab. Er betrachtete die wunderſchöne Ge¬
ſtalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet.
Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er
ſchon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte
hinaus; das Singen kam jenſeits von den Bergen
über die ſtille Gegend herüber, er konnte folgende
Worte verſtehen:
Vergangen iſt der lichte Tag,
Von ferne kommt der Glocken Schlag
So reist die Zeit die ganze Nacht,
Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht.
Wo iſt nun hin die bunte Luſt,
Des Freundes Troſt und treue Bruſt,
Des Weibes ſüßer Augenſchein?
Will keiner mit mir munter ſeyn?
Da's nun ſo ſtille auf der Welt,
Zieh'n Wolken einſam übers Feld,
Und Feld und Baum beſprechen ſich, —
O Menſchenkind! was ſchauert dich?
Wie weit die falſche Welt auch ſey,
Bleibt mir doch Einer nur getreu,
Der mit mir weint, der mit mir wacht,
Wenn ich nur recht an Ihn gedacht.
Friſchauf denn, liebe Nachtigall,
Du Waſſerfall mit hellem Schall!
Gott loben wollen wir vereint,
Bis daß der lichte Morgen ſcheint!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/253>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.