Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬
chen? Ey, sieh doch, komm, tucktuck! -- Er schien
nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in
meine Sphäre gehöre, und kehrte sich mit einem
unsäglichstolzen Blick, wie von einem unerhört
Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬
mana hier mit ein. Sie sagte dieß so richtig und
schön, daß ich sie dafür hätte küssen mögen Das
Schlimmste war aber nun, daß ich dadurch demaskirt
war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten
gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht so
bald, als sie mit allerhand Phrasen, die sie hin
und wieder ernascht, über mich herfielen. In der
Angst fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬
ten Redensarten und poetischen Paradoxen nach al¬
len Seiten um mich herumzuwerfen, bis sie mich,
ich sie, und ich mich selber nicht mehr verstand und
alles verwirrt wurde. Seit dieser Zeit haßt mich
der ganze Zirkel und hat mich als eine Pest der Poe¬
sie förmlich exkommunizirt.

Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬
gen angehört hatte, sagte: So habe ich dich am
liebsten, so bist du in deinem eigentlichen Leben.
Du siehst so frisch in die Welt hinein, daß alles un¬
ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja
wohl, antwortete Leontin, so buntschäckig, daß ich
manchmal selber zum Narren darüber werden
könnte.

Die Sonne fieng indeß schon an, sich zu senken,
und sowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer

du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬
chen? Ey, ſieh doch, komm, tucktuck! — Er ſchien
nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in
meine Sphäre gehöre, und kehrte ſich mit einem
unſäglichſtolzen Blick, wie von einem unerhört
Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬
mana hier mit ein. Sie ſagte dieß ſo richtig und
ſchön, daß ich ſie dafür hätte küſſen mögen Das
Schlimmſte war aber nun, daß ich dadurch demaſkirt
war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten
gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht ſo
bald, als ſie mit allerhand Phraſen, die ſie hin
und wieder ernaſcht, über mich herfielen. In der
Angſt fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬
ten Redensarten und poetiſchen Paradoxen nach al¬
len Seiten um mich herumzuwerfen, bis ſie mich,
ich ſie, und ich mich ſelber nicht mehr verſtand und
alles verwirrt wurde. Seit dieſer Zeit haßt mich
der ganze Zirkel und hat mich als eine Peſt der Poe¬
ſie förmlich exkommunizirt.

Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬
gen angehört hatte, ſagte: So habe ich dich am
liebſten, ſo biſt du in deinem eigentlichen Leben.
Du ſiehſt ſo friſch in die Welt hinein, daß alles un¬
ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja
wohl, antwortete Leontin, ſo buntſchäckig, daß ich
manchmal ſelber zum Narren darüber werden
könnte.

Die Sonne fieng indeß ſchon an, ſich zu ſenken,
und ſowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0244" n="238"/>
du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬<lb/>
chen? Ey, &#x017F;ieh doch, komm, tucktuck! &#x2014; Er &#x017F;chien<lb/>
nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in<lb/>
meine Sphäre gehöre, und kehrte &#x017F;ich mit einem<lb/>
un&#x017F;äglich&#x017F;tolzen Blick, wie von einem unerhört<lb/>
Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬<lb/>
mana hier mit ein. Sie &#x017F;agte dieß &#x017F;o richtig und<lb/>
&#x017F;chön, daß ich &#x017F;ie dafür hätte kü&#x017F;&#x017F;en mögen Das<lb/>
Schlimm&#x017F;te war aber nun, daß ich dadurch dema&#x017F;kirt<lb/>
war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten<lb/>
gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht &#x017F;o<lb/>
bald, als &#x017F;ie mit allerhand Phra&#x017F;en, die &#x017F;ie hin<lb/>
und wieder erna&#x017F;cht, über mich herfielen. In der<lb/>
Ang&#x017F;t fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬<lb/>
ten Redensarten und poeti&#x017F;chen Paradoxen nach al¬<lb/>
len Seiten um mich herumzuwerfen, bis &#x017F;ie mich,<lb/>
ich &#x017F;ie, und ich mich &#x017F;elber nicht mehr ver&#x017F;tand und<lb/>
alles verwirrt wurde. Seit die&#x017F;er Zeit haßt mich<lb/>
der ganze Zirkel und hat mich als eine Pe&#x017F;t der Poe¬<lb/>
&#x017F;ie förmlich exkommunizirt.</p><lb/>
          <p>Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬<lb/>
gen angehört hatte, &#x017F;agte: So habe ich dich am<lb/>
lieb&#x017F;ten, &#x017F;o bi&#x017F;t du in deinem eigentlichen Leben.<lb/>
Du &#x017F;ieh&#x017F;t &#x017F;o fri&#x017F;ch in die Welt hinein, daß alles un¬<lb/>
ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja<lb/>
wohl, antwortete Leontin, &#x017F;o bunt&#x017F;chäckig, daß ich<lb/>
manchmal &#x017F;elber zum Narren darüber werden<lb/>
könnte.</p><lb/>
          <p>Die Sonne fieng indeß &#x017F;chon an, &#x017F;ich zu &#x017F;enken,<lb/>
und &#x017F;owohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0244] du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬ chen? Ey, ſieh doch, komm, tucktuck! — Er ſchien nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in meine Sphäre gehöre, und kehrte ſich mit einem unſäglichſtolzen Blick, wie von einem unerhört Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬ mana hier mit ein. Sie ſagte dieß ſo richtig und ſchön, daß ich ſie dafür hätte küſſen mögen Das Schlimmſte war aber nun, daß ich dadurch demaſkirt war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht ſo bald, als ſie mit allerhand Phraſen, die ſie hin und wieder ernaſcht, über mich herfielen. In der Angſt fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬ ten Redensarten und poetiſchen Paradoxen nach al¬ len Seiten um mich herumzuwerfen, bis ſie mich, ich ſie, und ich mich ſelber nicht mehr verſtand und alles verwirrt wurde. Seit dieſer Zeit haßt mich der ganze Zirkel und hat mich als eine Peſt der Poe¬ ſie förmlich exkommunizirt. Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬ gen angehört hatte, ſagte: So habe ich dich am liebſten, ſo biſt du in deinem eigentlichen Leben. Du ſiehſt ſo friſch in die Welt hinein, daß alles un¬ ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja wohl, antwortete Leontin, ſo buntſchäckig, daß ich manchmal ſelber zum Narren darüber werden könnte. Die Sonne fieng indeß ſchon an, ſich zu ſenken, und ſowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/244
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/244>, abgerufen am 24.11.2024.