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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle
schlossen bald einen Kreis um sie und das zierliche
Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungs¬
würdigen Anmuth und Geschicklichkeit, während sie
das Tambourin auf mannigfache Weise schwang und
berührte und ein niedliches italiänisches Liedchen da¬
zu sang. Jeder war begeistert, erschöpfte sich in
Lobsprüchen und wünschte der Mutter Glück, die
sehr zufrieden lächelte. Nur Friedrich schwieg still.
Denn einmal war ihm schon die moderne Jungen¬
tracht bey Mädchen zuwider, ganz abscheulich aber
war ihm diese gottlose Art, unschuldige Kinder
durch Eitelkeit zu dressiren. Er fühlte vielmehr ein
tiefes Mitleid mit der schönen kleinen Bajadere.
Sein Aerger und das Lobpreisen der anderen stieg,
als nachher das Wunderkind sich unter die Gesell¬
schaft mischte, nach allen Seiten hin in fertigem
Französisch schnippische Antworten ertheilte, die eine
Klugheit weit über ihr Alter zeigten, und über¬
haupt jede Ungezogenheit als genial genommen
wurde.

Die Damen, welche sämmtlich sehr ästhetische
Mienen machten, setzten sich darauf nebst mehreren
Herren unter dem Vorsitze der Frau vom Haus,
die mit vieler Grazie den Thee einzuschenken wu߬
te, förmlich in Schlachtordnung und fiengen an von
Ohrenschmäußen zu reden. Der Minister entfernte
sich in die Nebenstube, um zu spielen. -- Friedrich
erstaunte, wie diese Weiber geläufig mit den neue¬
sten Erscheinungen der Literatur umzuspringen wu߬

in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle
ſchloſſen bald einen Kreis um ſie und das zierliche
Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungs¬
würdigen Anmuth und Geſchicklichkeit, während ſie
das Tambourin auf mannigfache Weiſe ſchwang und
berührte und ein niedliches italiäniſches Liedchen da¬
zu ſang. Jeder war begeiſtert, erſchöpfte ſich in
Lobſprüchen und wünſchte der Mutter Glück, die
ſehr zufrieden lächelte. Nur Friedrich ſchwieg ſtill.
Denn einmal war ihm ſchon die moderne Jungen¬
tracht bey Mädchen zuwider, ganz abſcheulich aber
war ihm dieſe gottloſe Art, unſchuldige Kinder
durch Eitelkeit zu dreſſiren. Er fühlte vielmehr ein
tiefes Mitleid mit der ſchönen kleinen Bajadere.
Sein Aerger und das Lobpreiſen der anderen ſtieg,
als nachher das Wunderkind ſich unter die Geſell¬
ſchaft miſchte, nach allen Seiten hin in fertigem
Franzöſiſch ſchnippiſche Antworten ertheilte, die eine
Klugheit weit über ihr Alter zeigten, und über¬
haupt jede Ungezogenheit als genial genommen
wurde.

Die Damen, welche ſämmtlich ſehr äſthetiſche
Mienen machten, ſetzten ſich darauf nebſt mehreren
Herren unter dem Vorſitze der Frau vom Haus,
die mit vieler Grazie den Thee einzuſchenken wu߬
te, förmlich in Schlachtordnung und fiengen an von
Ohrenſchmäußen zu reden. Der Miniſter entfernte
ſich in die Nebenſtube, um zu ſpielen. — Friedrich
erſtaunte, wie dieſe Weiber geläufig mit den neue¬
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[203/0209] in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle ſchloſſen bald einen Kreis um ſie und das zierliche Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungs¬ würdigen Anmuth und Geſchicklichkeit, während ſie das Tambourin auf mannigfache Weiſe ſchwang und berührte und ein niedliches italiäniſches Liedchen da¬ zu ſang. Jeder war begeiſtert, erſchöpfte ſich in Lobſprüchen und wünſchte der Mutter Glück, die ſehr zufrieden lächelte. Nur Friedrich ſchwieg ſtill. Denn einmal war ihm ſchon die moderne Jungen¬ tracht bey Mädchen zuwider, ganz abſcheulich aber war ihm dieſe gottloſe Art, unſchuldige Kinder durch Eitelkeit zu dreſſiren. Er fühlte vielmehr ein tiefes Mitleid mit der ſchönen kleinen Bajadere. Sein Aerger und das Lobpreiſen der anderen ſtieg, als nachher das Wunderkind ſich unter die Geſell¬ ſchaft miſchte, nach allen Seiten hin in fertigem Franzöſiſch ſchnippiſche Antworten ertheilte, die eine Klugheit weit über ihr Alter zeigten, und über¬ haupt jede Ungezogenheit als genial genommen wurde. Die Damen, welche ſämmtlich ſehr äſthetiſche Mienen machten, ſetzten ſich darauf nebſt mehreren Herren unter dem Vorſitze der Frau vom Haus, die mit vieler Grazie den Thee einzuſchenken wu߬ te, förmlich in Schlachtordnung und fiengen an von Ohrenſchmäußen zu reden. Der Miniſter entfernte ſich in die Nebenſtube, um zu ſpielen. — Friedrich erſtaunte, wie dieſe Weiber geläufig mit den neue¬ ſten Erſcheinungen der Literatur umzuſpringen wu߬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/209>, abgerufen am 21.11.2024.