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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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gelüst im Herzen, wenn sie noch eins haben. Pfuy!
Pfuy!

So jagten sich die Gedanken in seinem Kopfe
ärgerlich durcheinander, und er war, ohne daß er
es selbst bemerkte, ins Schloß gekommen. Die
Thüre zu Juliens Zimmer stand nur halb ange¬
lehnt, er gieng hinein, fand sie aber nicht darin.
Sie schien es eben verlassen zu haben; denn Far¬
ben, Pinsel und andere Mahlergeräthschaften lagen
noch umher. Auf dem Tische stand ein Bild auf¬
gerichtet. Er betrachtete es voll Erstaunen: es war
sein eignes Portrait, an welchem Julie lange heim¬
lich gearbeitet. Er war in derselben Jägerkleidung
gemahlt, in der sie ihn zum erstenmale gesehen
hatte. Mit Verwunderung glaubte er auch die Ge¬
gend, die den Hintergrund des Bildes ausfüllte,
zu erkennen. Er erinnerte sich endlich, daß er Ju¬
lien manchmal von seinem Schlosse, seinem Gar¬
ten, den Bergen und Wäldern, die es umgeben,
erzählt hatte, und ihr reiches Gemüth hatte sich
nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes,
wunderbares Zauberland, als ihre neue Heymath,
zusammengesezt.

Er stand lange voller Gedanken am Fenster.
Ihre Guitarre lag dort; er nahm sie und wollte
singen, aber es gieng nicht. Er lehnte sich mit der
Stirn ans Fenster und wollte sie durchaus hier er¬
warten, aber sie kam nicht.

Endlich stieg er herab, gieng in den Hof und
sattelte und zäumte sich selber sein Pferd. Als er

gelüſt im Herzen, wenn ſie noch eins haben. Pfuy!
Pfuy!

So jagten ſich die Gedanken in ſeinem Kopfe
ärgerlich durcheinander, und er war, ohne daß er
es ſelbſt bemerkte, ins Schloß gekommen. Die
Thüre zu Juliens Zimmer ſtand nur halb ange¬
lehnt, er gieng hinein, fand ſie aber nicht darin.
Sie ſchien es eben verlaſſen zu haben; denn Far¬
ben, Pinſel und andere Mahlergeräthſchaften lagen
noch umher. Auf dem Tiſche ſtand ein Bild auf¬
gerichtet. Er betrachtete es voll Erſtaunen: es war
ſein eignes Portrait, an welchem Julie lange heim¬
lich gearbeitet. Er war in derſelben Jägerkleidung
gemahlt, in der ſie ihn zum erſtenmale geſehen
hatte. Mit Verwunderung glaubte er auch die Ge¬
gend, die den Hintergrund des Bildes ausfüllte,
zu erkennen. Er erinnerte ſich endlich, daß er Ju¬
lien manchmal von ſeinem Schloſſe, ſeinem Gar¬
ten, den Bergen und Wäldern, die es umgeben,
erzählt hatte, und ihr reiches Gemüth hatte ſich
nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes,
wunderbares Zauberland, als ihre neue Heymath,
zuſammengeſezt.

Er ſtand lange voller Gedanken am Fenſter.
Ihre Guitarre lag dort; er nahm ſie und wollte
ſingen, aber es gieng nicht. Er lehnte ſich mit der
Stirn ans Fenſter und wollte ſie durchaus hier er¬
warten, aber ſie kam nicht.

Endlich ſtieg er herab, gieng in den Hof und
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[158/0164] gelüſt im Herzen, wenn ſie noch eins haben. Pfuy! Pfuy! So jagten ſich die Gedanken in ſeinem Kopfe ärgerlich durcheinander, und er war, ohne daß er es ſelbſt bemerkte, ins Schloß gekommen. Die Thüre zu Juliens Zimmer ſtand nur halb ange¬ lehnt, er gieng hinein, fand ſie aber nicht darin. Sie ſchien es eben verlaſſen zu haben; denn Far¬ ben, Pinſel und andere Mahlergeräthſchaften lagen noch umher. Auf dem Tiſche ſtand ein Bild auf¬ gerichtet. Er betrachtete es voll Erſtaunen: es war ſein eignes Portrait, an welchem Julie lange heim¬ lich gearbeitet. Er war in derſelben Jägerkleidung gemahlt, in der ſie ihn zum erſtenmale geſehen hatte. Mit Verwunderung glaubte er auch die Ge¬ gend, die den Hintergrund des Bildes ausfüllte, zu erkennen. Er erinnerte ſich endlich, daß er Ju¬ lien manchmal von ſeinem Schloſſe, ſeinem Gar¬ ten, den Bergen und Wäldern, die es umgeben, erzählt hatte, und ihr reiches Gemüth hatte ſich nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes, wunderbares Zauberland, als ihre neue Heymath, zuſammengeſezt. Er ſtand lange voller Gedanken am Fenſter. Ihre Guitarre lag dort; er nahm ſie und wollte ſingen, aber es gieng nicht. Er lehnte ſich mit der Stirn ans Fenſter und wollte ſie durchaus hier er¬ warten, aber ſie kam nicht. Endlich ſtieg er herab, gieng in den Hof und ſattelte und zäumte ſich ſelber ſein Pferd. Als er

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/164>, abgerufen am 30.04.2024.