Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬
ben, siehst Du dort im Sonnenscheine wandeln und
das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen
Flügel und Seegel und Du reissest in verzweifelter
Lustigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es
mir oft das Herz zerreissen wollte. Die Leute ge¬
hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬
klimper, aber ich sage Dir, es ist mehr göttlicher
Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬
senen Geleyre.

An einem schwülen Nachmittage saß Leontin im
Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬
gieng. Kein Mensch war draußen, alle Vögel hiel¬
ten sich im dichtesten Laube versteckt, es war so
still und einsam auf den Gängen und in der ganzen
Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an
sich hielte. Er versuchte einzuschlummern. Aber wie
über ihm die Gräser zwischen dem unaufhörlichen,
einförmigen Gesumme der Bienen sich hin und wie¬
der neigten, und rings am fernen Horizonte schwe¬
re Gewitterwolken, gleich phantastischen Gebirgen
mit großen, einsamen Seen und himmelhohen Fel¬
senzacken, die ganze Welt enge und immer enger
einzuschliessen schienen, preßte eine solche Bangigkeit
sein Herz zusammen, daß er schnell wieder auf¬
sprang. Er bestieg einen hohen, am Abhange ste¬
henden Baum, in dessen schwankem Wipfel er sich
in das schwüle Thal hinauswiegte, um nur die
fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden.

Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬
ben, ſiehſt Du dort im Sonnenſcheine wandeln und
das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen
Flügel und Seegel und Du reiſſeſt in verzweifelter
Luſtigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es
mir oft das Herz zerreiſſen wollte. Die Leute ge¬
hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬
klimper, aber ich ſage Dir, es iſt mehr göttlicher
Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬
ſenen Geleyre.

An einem ſchwülen Nachmittage ſaß Leontin im
Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬
gieng. Kein Menſch war draußen, alle Vögel hiel¬
ten ſich im dichteſten Laube verſteckt, es war ſo
ſtill und einſam auf den Gängen und in der ganzen
Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an
ſich hielte. Er verſuchte einzuſchlummern. Aber wie
über ihm die Gräſer zwiſchen dem unaufhörlichen,
einförmigen Geſumme der Bienen ſich hin und wie¬
der neigten, und rings am fernen Horizonte ſchwe¬
re Gewitterwolken, gleich phantaſtiſchen Gebirgen
mit großen, einſamen Seen und himmelhohen Fel¬
ſenzacken, die ganze Welt enge und immer enger
einzuſchlieſſen ſchienen, preßte eine ſolche Bangigkeit
ſein Herz zuſammen, daß er ſchnell wieder auf¬
ſprang. Er beſtieg einen hohen, am Abhange ſte¬
henden Baum, in deſſen ſchwankem Wipfel er ſich
in das ſchwüle Thal hinauswiegte, um nur die
fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="155"/>
Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬<lb/>
ben, &#x017F;ieh&#x017F;t Du dort im Sonnen&#x017F;cheine wandeln und<lb/>
das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen<lb/>
Flügel und Seegel und Du rei&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t in verzweifelter<lb/>
Lu&#x017F;tigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es<lb/>
mir oft das Herz zerrei&#x017F;&#x017F;en wollte. Die Leute ge¬<lb/>
hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬<lb/>
klimper, aber ich &#x017F;age Dir, es i&#x017F;t mehr göttlicher<lb/>
Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬<lb/>
&#x017F;enen Geleyre.</p><lb/>
          <p>An einem &#x017F;chwülen Nachmittage &#x017F;aß Leontin im<lb/>
Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬<lb/>
gieng. Kein Men&#x017F;ch war draußen, alle Vögel hiel¬<lb/>
ten &#x017F;ich im dichte&#x017F;ten Laube ver&#x017F;teckt, es war &#x017F;o<lb/>
&#x017F;till und ein&#x017F;am auf den Gängen und in der ganzen<lb/>
Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an<lb/>
&#x017F;ich hielte. Er ver&#x017F;uchte einzu&#x017F;chlummern. Aber wie<lb/>
über ihm die Grä&#x017F;er zwi&#x017F;chen dem unaufhörlichen,<lb/>
einförmigen Ge&#x017F;umme der Bienen &#x017F;ich hin und wie¬<lb/>
der neigten, und rings am fernen Horizonte &#x017F;chwe¬<lb/>
re Gewitterwolken, gleich phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Gebirgen<lb/>
mit großen, ein&#x017F;amen Seen und himmelhohen Fel¬<lb/>
&#x017F;enzacken, die ganze Welt enge und immer enger<lb/>
einzu&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chienen, preßte eine &#x017F;olche Bangigkeit<lb/>
&#x017F;ein Herz zu&#x017F;ammen, daß er &#x017F;chnell wieder auf¬<lb/>
&#x017F;prang. Er be&#x017F;tieg einen hohen, am Abhange &#x017F;te¬<lb/>
henden Baum, in de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chwankem Wipfel er &#x017F;ich<lb/>
in das &#x017F;chwüle Thal hinauswiegte, um nur die<lb/>
fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0161] Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬ ben, ſiehſt Du dort im Sonnenſcheine wandeln und das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen Flügel und Seegel und Du reiſſeſt in verzweifelter Luſtigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es mir oft das Herz zerreiſſen wollte. Die Leute ge¬ hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬ klimper, aber ich ſage Dir, es iſt mehr göttlicher Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬ ſenen Geleyre. An einem ſchwülen Nachmittage ſaß Leontin im Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬ gieng. Kein Menſch war draußen, alle Vögel hiel¬ ten ſich im dichteſten Laube verſteckt, es war ſo ſtill und einſam auf den Gängen und in der ganzen Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an ſich hielte. Er verſuchte einzuſchlummern. Aber wie über ihm die Gräſer zwiſchen dem unaufhörlichen, einförmigen Geſumme der Bienen ſich hin und wie¬ der neigten, und rings am fernen Horizonte ſchwe¬ re Gewitterwolken, gleich phantaſtiſchen Gebirgen mit großen, einſamen Seen und himmelhohen Fel¬ ſenzacken, die ganze Welt enge und immer enger einzuſchlieſſen ſchienen, preßte eine ſolche Bangigkeit ſein Herz zuſammen, daß er ſchnell wieder auf¬ ſprang. Er beſtieg einen hohen, am Abhange ſte¬ henden Baum, in deſſen ſchwankem Wipfel er ſich in das ſchwüle Thal hinauswiegte, um nur die fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/161
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/161>, abgerufen am 23.11.2024.