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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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Musikästhetiker vom Hohenasperg, versicherte von Jomelli, es sei gar nicht denkbar, daß dieser Tondichter jemals in Vergessenheit geraten könnte. Und was sind uns Hasse und Jomelli? Die Geschichte der Oper bewahrt ähnliche Prophezeiungen aus jeglichem Zeitabschnitt, darum wird eine Wanderung durch ihre Hallen uns unversehens zur "Promenade d'un sceptique", wie Diderot eine seiner Flugschriften betitelt. Die Historie lehrt uns, daß Opern, für deren "Unsterblichkeit" man sich ehedem totschlagen ließ, eine durchschnittliche Lebensdauer von vierzig bis fünfzig Jahren haben, eine Frist, die nur von wenigen genialen Schöpfungen überdauert, von der Menge leichterer Lieblingsopern aber fast nie erreicht wird."

Solche Betrachtungen dürften geeignet sein, dem Größenwahn superlativischer Wagnerianer einen Dämpfer aufzusetzen. Nichts ist absolut in der Welt des Schönen, nichts dauernd, nichts vollgültig; das Wort des ehrwürdigen Herakleitos "Alles fließt" herrscht auch hier über allen Erscheinungen; das Eine fließt schneller, das Andere langsamer; aber es fließt.

Der Leser vergleiche übrigens die in mancher Beziehung hierhergehörige Auslassung Zola's*) in "Le roman naturaliste", wo es heißt:

"Wenn man die Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderte liest, so bemerkt man bald, daß man ihre Werke in zwei Teile zerlegen muß, einen Teil, der menschlich-gültig geblieben, und einen andern Teil, der gealtert ist. Dieser

*) Uebersetzung von Leo Berg, Stuttgart 1893, Deutsche Verlags-Anstalt.

Musikästhetiker vom Hohenasperg, versicherte von Jomelli, es sei gar nicht denkbar, daß dieser Tondichter jemals in Vergessenheit geraten könnte. Und was sind uns Hasse und Jomelli? Die Geschichte der Oper bewahrt ähnliche Prophezeiungen aus jeglichem Zeitabschnitt, darum wird eine Wanderung durch ihre Hallen uns unversehens zur „Promenade d’un sceptique“, wie Diderot eine seiner Flugschriften betitelt. Die Historie lehrt uns, daß Opern, für deren „Unsterblichkeit“ man sich ehedem totschlagen ließ, eine durchschnittliche Lebensdauer von vierzig bis fünfzig Jahren haben, eine Frist, die nur von wenigen genialen Schöpfungen überdauert, von der Menge leichterer Lieblingsopern aber fast nie erreicht wird.“

Solche Betrachtungen dürften geeignet sein, dem Größenwahn superlativischer Wagnerianer einen Dämpfer aufzusetzen. Nichts ist absolut in der Welt des Schönen, nichts dauernd, nichts vollgültig; das Wort des ehrwürdigen Herakleitos „Alles fließt“ herrscht auch hier über allen Erscheinungen; das Eine fließt schneller, das Andere langsamer; aber es fließt.

Der Leser vergleiche übrigens die in mancher Beziehung hierhergehörige Auslassung Zola’s*) in „Le roman naturaliste“, wo es heißt:

„Wenn man die Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderte liest, so bemerkt man bald, daß man ihre Werke in zwei Teile zerlegen muß, einen Teil, der menschlich-gültig geblieben, und einen andern Teil, der gealtert ist. Dieser

*) Uebersetzung von Leo Berg, Stuttgart 1893, Deutsche Verlags-Anstalt.
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Musikästhetiker vom Hohenasperg, versicherte von Jomelli, es sei gar nicht denkbar, daß dieser Tondichter jemals in Vergessenheit geraten könnte. Und was sind uns Hasse und Jomelli? Die Geschichte der Oper bewahrt ähnliche Prophezeiungen aus jeglichem Zeitabschnitt, darum wird eine Wanderung durch ihre Hallen uns unversehens zur &#x201E;<hi rendition="#aq">Promenade d&#x2019;un sceptique</hi>&#x201C;, wie Diderot eine seiner Flugschriften betitelt. Die Historie lehrt uns, daß Opern, für deren &#x201E;Unsterblichkeit&#x201C; man sich ehedem totschlagen ließ, eine durchschnittliche Lebensdauer von vierzig bis fünfzig Jahren haben, eine Frist, die nur von wenigen genialen Schöpfungen überdauert, von der Menge leichterer Lieblingsopern aber fast nie erreicht wird.&#x201C;</p>
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[33/0035] Musikästhetiker vom Hohenasperg, versicherte von Jomelli, es sei gar nicht denkbar, daß dieser Tondichter jemals in Vergessenheit geraten könnte. Und was sind uns Hasse und Jomelli? Die Geschichte der Oper bewahrt ähnliche Prophezeiungen aus jeglichem Zeitabschnitt, darum wird eine Wanderung durch ihre Hallen uns unversehens zur „Promenade d’un sceptique“, wie Diderot eine seiner Flugschriften betitelt. Die Historie lehrt uns, daß Opern, für deren „Unsterblichkeit“ man sich ehedem totschlagen ließ, eine durchschnittliche Lebensdauer von vierzig bis fünfzig Jahren haben, eine Frist, die nur von wenigen genialen Schöpfungen überdauert, von der Menge leichterer Lieblingsopern aber fast nie erreicht wird.“ Solche Betrachtungen dürften geeignet sein, dem Größenwahn superlativischer Wagnerianer einen Dämpfer aufzusetzen. Nichts ist absolut in der Welt des Schönen, nichts dauernd, nichts vollgültig; das Wort des ehrwürdigen Herakleitos „Alles fließt“ herrscht auch hier über allen Erscheinungen; das Eine fließt schneller, das Andere langsamer; aber es fließt. Der Leser vergleiche übrigens die in mancher Beziehung hierhergehörige Auslassung Zola’s *) in „Le roman naturaliste“, wo es heißt: „Wenn man die Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderte liest, so bemerkt man bald, daß man ihre Werke in zwei Teile zerlegen muß, einen Teil, der menschlich-gültig geblieben, und einen andern Teil, der gealtert ist. Dieser *) Uebersetzung von Leo Berg, Stuttgart 1893, Deutsche Verlags-Anstalt.

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/35>, abgerufen am 25.04.2024.