stände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren zu wollen, so kann ich in Wahrheit sagen, daß ich diese beiden Winter im Theater die harmlosesten, lieblichsten Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden. Auch war ich in das Theater so vernarrt, daß ich nicht allein keine Vorstellung versäumte, sondern mir auch Zutritt zu den Proben verschaffte; ja, auch damit noch nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's setzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt spielen könnte.
"Ihr seid eben ein verrückter Mensch, erwiederte Goethe lachend; aber so hab' ich's gerne. Wollte Gott, das ganze Publicum bestände aus solchen Kindern! -- Und im Grunde habt Ihr Recht, es ist was. Wer nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung ist, findet nicht leicht einen Ort, wo es ihm so wohl sein könnte, als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬ sprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn Ihr nicht wollt, vielmehr sitzt Ihr im völligen Behagen wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und Euch Geist und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬ schen könnt. Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst, und was nicht noch Alles! Wenn alle diese Künste und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,
ſtände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren zu wollen, ſo kann ich in Wahrheit ſagen, daß ich dieſe beiden Winter im Theater die harmloſeſten, lieblichſten Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden. Auch war ich in das Theater ſo vernarrt, daß ich nicht allein keine Vorſtellung verſäumte, ſondern mir auch Zutritt zu den Proben verſchaffte; ja, auch damit noch nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's ſetzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt ſpielen könnte.
„Ihr ſeid eben ein verrückter Menſch, erwiederte Goethe lachend; aber ſo hab' ich's gerne. Wollte Gott, das ganze Publicum beſtände aus ſolchen Kindern! — Und im Grunde habt Ihr Recht, es iſt was. Wer nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung iſt, findet nicht leicht einen Ort, wo es ihm ſo wohl ſein könnte, als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬ ſprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn Ihr nicht wollt, vielmehr ſitzt Ihr im völligen Behagen wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und Euch Geiſt und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬ ſchen könnt. Da iſt Poeſie, da iſt Malerei, da iſt Geſang und Muſik, da iſt Schauſpielkunſt, und was nicht noch Alles! Wenn alle dieſe Künſte und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0085"n="63"/>ſtände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren<lb/>
zu wollen, ſo kann ich in Wahrheit ſagen, daß ich dieſe<lb/>
beiden Winter im Theater die harmloſeſten, lieblichſten<lb/>
Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden.<lb/>
Auch war ich in das Theater ſo vernarrt, daß ich nicht<lb/>
allein keine Vorſtellung verſäumte, ſondern mir auch<lb/>
Zutritt zu den Proben verſchaffte; ja, auch damit noch<lb/>
nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im<lb/>
Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe<lb/>
Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's<lb/>ſetzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt<lb/>ſpielen könnte.</p><lb/><p>„Ihr ſeid eben ein verrückter Menſch, erwiederte<lb/>
Goethe lachend; aber ſo hab' ich's gerne. Wollte Gott,<lb/>
das ganze Publicum beſtände aus ſolchen Kindern! —<lb/>
Und im Grunde habt Ihr Recht, es iſt was. Wer<lb/>
nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung iſt, findet<lb/>
nicht leicht einen Ort, wo es ihm ſo wohl ſein könnte,<lb/>
als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬<lb/>ſprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn<lb/>
Ihr nicht wollt, vielmehr ſitzt Ihr im völligen Behagen<lb/>
wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und<lb/>
Euch Geiſt und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬<lb/>ſchen könnt. Da iſt Poeſie, da iſt Malerei, da iſt<lb/>
Geſang und Muſik, da iſt Schauſpielkunſt, und was<lb/>
nicht noch Alles! Wenn alle dieſe Künſte und Reize<lb/>
von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[63/0085]
ſtände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren
zu wollen, ſo kann ich in Wahrheit ſagen, daß ich dieſe
beiden Winter im Theater die harmloſeſten, lieblichſten
Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden.
Auch war ich in das Theater ſo vernarrt, daß ich nicht
allein keine Vorſtellung verſäumte, ſondern mir auch
Zutritt zu den Proben verſchaffte; ja, auch damit noch
nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im
Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe
Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's
ſetzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt
ſpielen könnte.
„Ihr ſeid eben ein verrückter Menſch, erwiederte
Goethe lachend; aber ſo hab' ich's gerne. Wollte Gott,
das ganze Publicum beſtände aus ſolchen Kindern! —
Und im Grunde habt Ihr Recht, es iſt was. Wer
nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung iſt, findet
nicht leicht einen Ort, wo es ihm ſo wohl ſein könnte,
als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬
ſprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn
Ihr nicht wollt, vielmehr ſitzt Ihr im völligen Behagen
wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und
Euch Geiſt und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬
ſchen könnt. Da iſt Poeſie, da iſt Malerei, da iſt
Geſang und Muſik, da iſt Schauſpielkunſt, und was
nicht noch Alles! Wenn alle dieſe Künſte und Reize
von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/85>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.