Bei Goethe zu Tisch in heiteren Gesprächen. Eine junge Schönheit der Weimarischen Gesellschaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anwesenden bemerkte, daß er fast auf dem Punkte stehe, sie zu lieben, obgleich ihr Verstand nicht eben glänzend zu nennen.
"Pah! sagte Goethe lachend, als ob die Liebe etwas mit dem Verstande zu thun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge, als den Verstand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den Cha¬ rakter, ihre Fehler, ihre Capricen, und Gott weiß was alles Unaussprechliche sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unsern Augen unendlich an Werth gewinnen. Auch mag der Verstand gut seyn, uns zu fesseln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenschaft zu erwecken."
Man fand an Goethe's Worten viel Wahres und Ueberzeugendes und war sehr bereit, den Gegenstand ebenfalls von dieser Seite zu betrachten.
III. 3
Freitag, den 2. Januar 1824.
Bei Goethe zu Tiſch in heiteren Geſprächen. Eine junge Schönheit der Weimariſchen Geſellſchaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anweſenden bemerkte, daß er faſt auf dem Punkte ſtehe, ſie zu lieben, obgleich ihr Verſtand nicht eben glänzend zu nennen.
„Pah! ſagte Goethe lachend, als ob die Liebe etwas mit dem Verſtande zu thun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge, als den Verſtand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckiſche, das Zutrauliche, den Cha¬ rakter, ihre Fehler, ihre Capricen, und Gott weiß was alles Unausſprechliche ſonſt; aber wir lieben nicht ihren Verſtand. Ihren Verſtand achten wir, wenn er glänzend iſt, und ein Mädchen kann dadurch in unſern Augen unendlich an Werth gewinnen. Auch mag der Verſtand gut ſeyn, uns zu feſſeln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verſtand iſt nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenſchaft zu erwecken.“
Man fand an Goethe's Worten viel Wahres und Ueberzeugendes und war ſehr bereit, den Gegenſtand ebenfalls von dieſer Seite zu betrachten.
III. 3
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[[33]/0055]
Freitag, den 2. Januar 1824.
Bei Goethe zu Tiſch in heiteren Geſprächen. Eine
junge Schönheit der Weimariſchen Geſellſchaft kam zur
Erwähnung, wobei einer der Anweſenden bemerkte, daß
er faſt auf dem Punkte ſtehe, ſie zu lieben, obgleich ihr
Verſtand nicht eben glänzend zu nennen.
„Pah! ſagte Goethe lachend, als ob die Liebe
etwas mit dem Verſtande zu thun hätte! Wir lieben
an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge,
als den Verſtand. Wir lieben an ihr das Schöne, das
Jugendliche, das Neckiſche, das Zutrauliche, den Cha¬
rakter, ihre Fehler, ihre Capricen, und Gott weiß was
alles Unausſprechliche ſonſt; aber wir lieben nicht
ihren Verſtand. Ihren Verſtand achten wir, wenn er
glänzend iſt, und ein Mädchen kann dadurch in unſern
Augen unendlich an Werth gewinnen. Auch mag der
Verſtand gut ſeyn, uns zu feſſeln, wenn wir bereits
lieben. Allein der Verſtand iſt nicht dasjenige, was
fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenſchaft zu
erwecken.“
Man fand an Goethe's Worten viel Wahres und
Ueberzeugendes und war ſehr bereit, den Gegenſtand
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. [33]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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