"Die mathematische Gilde hat meinen Namen in der Wissenschaft so verdächtig zu machen gesucht, daß man sich scheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor einiger Zeit eine Broschüre in die Hand, worin Gegen¬ stände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar schien der Verfasser ganz durchdrungen von meiner Lehre zu seyn und hatte Alles auf dieselben Fundamente gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬ raschung mußte ich sehen, daß der Verfasser mich nicht einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthsel gelöst. Ein gemeinschaftlicher Freund besuchte mich und gestand mir: der talentreiche junge Verfasser habe durch jene Schrift seinen Ruf zu gründen gesucht und habe mit Recht gefürchtet, sich bei der gelehrten Welt zu schaden, wenn er es gewagt hätte, seine vorgetragenen Ansichten durch meinen Namen zu stützen. -- Die kleine Schrift machte Glück, und der geistreiche junge Ver¬ fasser hat sich mir später persönlich vorgestellt und sich entschuldigt."
Der Fall erscheint mir um so merkwürdiger, versetzte ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität stolz zu seyn Ursache hat und Jedermann sich glücklich schätzet, in Ihrer Zustimmung vor der Welt einen mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre scheint mir das Schlimme zu seyn, daß Sie es dabei nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten
„Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬ ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬ raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. — Die kleine Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬ faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich entſchuldigt.“
Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten
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[28/0050]
„Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in
der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß
man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor
einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬
ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar
ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner
Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente
gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit
großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬
raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht
einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel
gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und
geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch
jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe
mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu
ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen
Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. — Die kleine
Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬
faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich
entſchuldigt.“
Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte
ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität
ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich
ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen
mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre
ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei
nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/50>, abgerufen am 24.11.2024.
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