Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

"Die mathematische Gilde hat meinen Namen in
der Wissenschaft so verdächtig zu machen gesucht, daß
man sich scheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor
einiger Zeit eine Broschüre in die Hand, worin Gegen¬
stände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar
schien der Verfasser ganz durchdrungen von meiner
Lehre zu seyn und hatte Alles auf dieselben Fundamente
gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit
großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬
raschung mußte ich sehen, daß der Verfasser mich nicht
einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthsel
gelöst. Ein gemeinschaftlicher Freund besuchte mich und
gestand mir: der talentreiche junge Verfasser habe durch
jene Schrift seinen Ruf zu gründen gesucht und habe
mit Recht gefürchtet, sich bei der gelehrten Welt zu
schaden, wenn er es gewagt hätte, seine vorgetragenen
Ansichten durch meinen Namen zu stützen. -- Die kleine
Schrift machte Glück, und der geistreiche junge Ver¬
fasser hat sich mir später persönlich vorgestellt und sich
entschuldigt."

Der Fall erscheint mir um so merkwürdiger, versetzte
ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität
stolz zu seyn Ursache hat und Jedermann sich glücklich
schätzet, in Ihrer Zustimmung vor der Welt einen
mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre
scheint mir das Schlimme zu seyn, daß Sie es dabei
nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten

„Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in
der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß
man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor
einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬
ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar
ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner
Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente
gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit
großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬
raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht
einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel
gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und
geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch
jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe
mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu
ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen
Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. — Die kleine
Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬
faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich
entſchuldigt.“

Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte
ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität
ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich
ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen
mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre
ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei
nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0050" n="28"/>
          <p>&#x201E;Die mathemati&#x017F;che Gilde hat meinen Namen in<lb/>
der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;o verdächtig zu machen ge&#x017F;ucht, daß<lb/>
man &#x017F;ich &#x017F;cheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor<lb/>
einiger Zeit eine Bro&#x017F;chüre in die Hand, worin Gegen¬<lb/>
&#x017F;tände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar<lb/>
&#x017F;chien der Verfa&#x017F;&#x017F;er ganz durchdrungen von meiner<lb/>
Lehre zu &#x017F;eyn und hatte Alles auf die&#x017F;elben Fundamente<lb/>
gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit<lb/>
großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬<lb/>
ra&#x017F;chung mußte ich &#x017F;ehen, daß der Verfa&#x017F;&#x017F;er mich nicht<lb/>
einmal genannt hatte. Später ward mir das Räth&#x017F;el<lb/>
gelö&#x017F;t. Ein gemein&#x017F;chaftlicher Freund be&#x017F;uchte mich und<lb/>
ge&#x017F;tand mir: der talentreiche junge Verfa&#x017F;&#x017F;er habe durch<lb/>
jene Schrift &#x017F;einen Ruf zu gründen ge&#x017F;ucht und habe<lb/>
mit Recht gefürchtet, &#x017F;ich bei der gelehrten Welt zu<lb/>
&#x017F;chaden, wenn er es gewagt hätte, &#x017F;eine vorgetragenen<lb/>
An&#x017F;ichten durch meinen Namen zu &#x017F;tützen. &#x2014; Die kleine<lb/>
Schrift machte Glück, und der gei&#x017F;treiche junge Ver¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;er hat &#x017F;ich mir &#x017F;päter per&#x017F;önlich vorge&#x017F;tellt und &#x017F;ich<lb/>
ent&#x017F;chuldigt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Der Fall er&#x017F;cheint mir um &#x017F;o merkwürdiger, ver&#x017F;etzte<lb/>
ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität<lb/>
&#x017F;tolz zu &#x017F;eyn Ur&#x017F;ache hat und Jedermann &#x017F;ich glücklich<lb/>
&#x017F;chätzet, in Ihrer Zu&#x017F;timmung vor der Welt einen<lb/>
mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre<lb/>
&#x017F;cheint mir das Schlimme zu &#x017F;eyn, daß Sie es dabei<lb/>
nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0050] „Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬ ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬ raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. — Die kleine Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬ faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich entſchuldigt.“ Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/50
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/50>, abgerufen am 24.11.2024.