ganz Vortreffliche, das mit der reinsten Natur und Vernunft in Harmonie steht und noch heute unserer höchsten Entwickelung dient! Und was ist unecht, als das Absurde, Hohle und Dumme, was keine Frucht bringt, wenigstens keine gute! -- Sollte die Echtheit einer biblischen Schrift durch die Frage entschieden wer¬ den: ob uns durchaus Wahres überliefert worden? so könnte man sogar in einigen Punkten die Echtheit der Evangelien bezweifeln, wovon Marcus und Lucas nicht aus unmittelbarer Ansicht und Erfahrung, sondern erst spät nach mündlicher Ueberlieferung geschrieben, und das letzte, von dem Jünger Johannes, erst im höchsten Alter. Dennoch halte ich die Evangelien alle vier für durchaus echt, denn es ist in ihnen der Ab¬ glanz einer Hoheit wirksam, die von der Person Christi ausging und die so göttlicher Art, wie nur je auf Er¬ den das Göttliche erschienen ist. Fragt man mich: ob es in meiner Natur sey, ihm anbetende Ehrfurcht zu erweisen? so sage ich: Durchaus! -- Ich beuge mich vor ihm, als der göttlichen Offenbarung des höchsten Prin¬ cips der Sittlichkeit. -- Fragt man mich: ob es in meiner Natur sey, die Sonne zu verehren? so sage ich abermals: Durchaus! Denn sie ist gleichfalls eine Offenbarung des Höchsten, und zwar die mächtigste, die uns Erdenfindern wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind, und alle
ganz Vortreffliche, das mit der reinſten Natur und Vernunft in Harmonie ſteht und noch heute unſerer höchſten Entwickelung dient! Und was iſt unecht, als das Abſurde, Hohle und Dumme, was keine Frucht bringt, wenigſtens keine gute! — Sollte die Echtheit einer bibliſchen Schrift durch die Frage entſchieden wer¬ den: ob uns durchaus Wahres überliefert worden? ſo könnte man ſogar in einigen Punkten die Echtheit der Evangelien bezweifeln, wovon Marcus und Lucas nicht aus unmittelbarer Anſicht und Erfahrung, ſondern erſt ſpät nach mündlicher Ueberlieferung geſchrieben, und das letzte, von dem Jünger Johannes, erſt im höchſten Alter. Dennoch halte ich die Evangelien alle vier für durchaus echt, denn es iſt in ihnen der Ab¬ glanz einer Hoheit wirkſam, die von der Perſon Chriſti ausging und die ſo göttlicher Art, wie nur je auf Er¬ den das Göttliche erſchienen iſt. Fragt man mich: ob es in meiner Natur ſey, ihm anbetende Ehrfurcht zu erweiſen? ſo ſage ich: Durchaus! — Ich beuge mich vor ihm, als der göttlichen Offenbarung des höchſten Prin¬ cips der Sittlichkeit. — Fragt man mich: ob es in meiner Natur ſey, die Sonne zu verehren? ſo ſage ich abermals: Durchaus! Denn ſie iſt gleichfalls eine Offenbarung des Höchſten, und zwar die mächtigſte, die uns Erdenfindern wahrzunehmen vergönnt iſt. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und ſind, und alle
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ganz Vortreffliche, das mit der reinſten Natur und
Vernunft in Harmonie ſteht und noch heute unſerer
höchſten Entwickelung dient! Und was iſt unecht, als
das Abſurde, Hohle und Dumme, was keine Frucht
bringt, wenigſtens keine gute! — Sollte die Echtheit
einer bibliſchen Schrift durch die Frage entſchieden wer¬
den: ob uns durchaus Wahres überliefert worden? ſo
könnte man ſogar in einigen Punkten die Echtheit der
Evangelien bezweifeln, wovon Marcus und Lucas
nicht aus unmittelbarer Anſicht und Erfahrung, ſondern
erſt ſpät nach mündlicher Ueberlieferung geſchrieben,
und das letzte, von dem Jünger Johannes, erſt im
höchſten Alter. Dennoch halte ich die Evangelien alle
vier für durchaus echt, denn es iſt in ihnen der Ab¬
glanz einer Hoheit wirkſam, die von der Perſon Chriſti
ausging und die ſo göttlicher Art, wie nur je auf Er¬
den das Göttliche erſchienen iſt. Fragt man mich: ob
es in meiner Natur ſey, ihm anbetende Ehrfurcht zu
erweiſen? ſo ſage ich: Durchaus! — Ich beuge mich vor
ihm, als der göttlichen Offenbarung des höchſten Prin¬
cips der Sittlichkeit. — Fragt man mich: ob es in
meiner Natur ſey, die Sonne zu verehren? ſo ſage ich
abermals: Durchaus! Denn ſie iſt gleichfalls eine
Offenbarung des Höchſten, und zwar die mächtigſte,
die uns Erdenfindern wahrzunehmen vergönnt iſt. Ich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/393>, abgerufen am 17.02.2025.
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