als nicht göttlichen Ursprungs. Ich vermißte den durch und durch edlen Tobias, dieses Musterbild eines from¬ men Wandels; ferner die Weisheit Salomonis und Jesus Sirach, alles Schriften von so großer geistiger und sittlicher Höhe, daß wenig andere ihnen gleichkom¬ men. Ich sprach gegen Goethe mein Bedauern aus über die höchst enge Ansicht, wonach einige Schriften des Alten Testaments als unmittelbar von Gott einge¬ geben betrachtet werden, andere gleich treffliche aber nicht; und als ob denn überhaupt etwas Edles und Großes entstehen könne, das nicht von Gott komme und das nicht eine Frucht seiner Einwirkung.
"Ich bin durchaus Ihrer Meinung, erwiederte Goethe. Doch giebt es zwei Standpunkte, von welchen aus die biblischen Dinge zu betrachten. Es giebt den Standpunkt einer Art Ur-Religion, den der reinen Natur und Vernunft, welcher göttlicher Abkunft. Die¬ ser wird ewig derselbige bleiben und wird dauern und gelten so lange gottbegabte Wesen vorhanden. Doch ist er nur für Auserwählte und viel zu hoch und edel, um allgemein zu werden. Sodann giebt es den Stand¬ punkt der Kirche, welcher mehr menschlicher Art. Er ist gebrechlich, wandelbar und im Wandel begriffen; doch auch er wird in ewiger Umwandlung dauern, so lange schwache menschliche Wesen seyn werden. Das Licht ungetrübter göttlicher Offenbarung ist viel zu rein und glänzend, als daß es den armen, gar schwachen
III. 24
als nicht göttlichen Urſprungs. Ich vermißte den durch und durch edlen Tobias, dieſes Muſterbild eines from¬ men Wandels; ferner die Weisheit Salomonis und Jeſus Sirach, alles Schriften von ſo großer geiſtiger und ſittlicher Höhe, daß wenig andere ihnen gleichkom¬ men. Ich ſprach gegen Goethe mein Bedauern aus über die höchſt enge Anſicht, wonach einige Schriften des Alten Teſtaments als unmittelbar von Gott einge¬ geben betrachtet werden, andere gleich treffliche aber nicht; und als ob denn überhaupt etwas Edles und Großes entſtehen könne, das nicht von Gott komme und das nicht eine Frucht ſeiner Einwirkung.
„Ich bin durchaus Ihrer Meinung, erwiederte Goethe. Doch giebt es zwei Standpunkte, von welchen aus die bibliſchen Dinge zu betrachten. Es giebt den Standpunkt einer Art Ur-Religion, den der reinen Natur und Vernunft, welcher göttlicher Abkunft. Die¬ ſer wird ewig derſelbige bleiben und wird dauern und gelten ſo lange gottbegabte Weſen vorhanden. Doch iſt er nur für Auserwählte und viel zu hoch und edel, um allgemein zu werden. Sodann giebt es den Stand¬ punkt der Kirche, welcher mehr menſchlicher Art. Er iſt gebrechlich, wandelbar und im Wandel begriffen; doch auch er wird in ewiger Umwandlung dauern, ſo lange ſchwache menſchliche Weſen ſeyn werden. Das Licht ungetrübter göttlicher Offenbarung iſt viel zu rein und glänzend, als daß es den armen, gar ſchwachen
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als nicht göttlichen Urſprungs. Ich vermißte den durch
und durch edlen Tobias, dieſes Muſterbild eines from¬
men Wandels; ferner die Weisheit Salomonis und
Jeſus Sirach, alles Schriften von ſo großer geiſtiger
und ſittlicher Höhe, daß wenig andere ihnen gleichkom¬
men. Ich ſprach gegen Goethe mein Bedauern aus
über die höchſt enge Anſicht, wonach einige Schriften
des Alten Teſtaments als unmittelbar von Gott einge¬
geben betrachtet werden, andere gleich treffliche aber
nicht; und als ob denn überhaupt etwas Edles und
Großes entſtehen könne, das nicht von Gott komme
und das nicht eine Frucht ſeiner Einwirkung.
„Ich bin durchaus Ihrer Meinung, erwiederte
Goethe. Doch giebt es zwei Standpunkte, von welchen
aus die bibliſchen Dinge zu betrachten. Es giebt den
Standpunkt einer Art Ur-Religion, den der reinen
Natur und Vernunft, welcher göttlicher Abkunft. Die¬
ſer wird ewig derſelbige bleiben und wird dauern und
gelten ſo lange gottbegabte Weſen vorhanden. Doch
iſt er nur für Auserwählte und viel zu hoch und edel,
um allgemein zu werden. Sodann giebt es den Stand¬
punkt der Kirche, welcher mehr menſchlicher Art. Er
iſt gebrechlich, wandelbar und im Wandel begriffen;
doch auch er wird in ewiger Umwandlung dauern, ſo
lange ſchwache menſchliche Weſen ſeyn werden. Das
Licht ungetrübter göttlicher Offenbarung iſt viel zu rein
und glänzend, als daß es den armen, gar ſchwachen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/391>, abgerufen am 22.12.2024.
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