Einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich ma¬ chen kann; sonst stirbt man vor langer Weile. Auch war ich fast jedesmal so glücklich, dort irgend eine kleine Wahlverwandtschaft zu finden, die mir während der wenigen Wochen einige Unterhaltung gab. Besonders erinnere ich mich eines Falles, der mir noch jetzt Ver¬ gnügen macht."
"Ich besuchte nämlich eines Tages Frau von Reck. Nachdem wir uns eine Weile nicht sonderlich unterhalten und ich wieder Abschied genommen hatte, begegnete mir im Hinausgehen eine Dame mit zwei sehr hübschen jungen Mädchen. "Wer war der Herr, der soeben von Ihnen ging?" fragte die Dame. "Es war Goethe," antwortete Frau von Reck. "O wie leid thut es mir, erwiederte die Dame, daß er nicht geblieben ist, und daß ich nicht das Glück gehabt habe, seine Bekanntschaft zu machen!" "O daran haben Sie durchaus nichts verloren, meine Liebe, sagte die Reck. Er ist sehr langweilig unter Damen, es sey denn, daß sie hübsch genug wären, ihm einiges Interesse einzu¬ flößen. Frauen unseres Alters dürfen nicht daran denken, ihn beredt und liebenswürdig zu machen."
"Als die beiden Mädchen mit ihrer Mutter nach Hause gingen, gedachten sie der Worte der Frau v. Reck. Wir sind jung, wir sind hübsch, sagten sie, laßt doch sehen, ob es uns nicht gelingt, jenen berühmten Wilden einzufangen und zu zähmen! Am anderen
Einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich ma¬ chen kann; ſonſt ſtirbt man vor langer Weile. Auch war ich faſt jedesmal ſo glücklich, dort irgend eine kleine Wahlverwandtſchaft zu finden, die mir während der wenigen Wochen einige Unterhaltung gab. Beſonders erinnere ich mich eines Falles, der mir noch jetzt Ver¬ gnügen macht.“
„Ich beſuchte nämlich eines Tages Frau von Reck. Nachdem wir uns eine Weile nicht ſonderlich unterhalten und ich wieder Abſchied genommen hatte, begegnete mir im Hinausgehen eine Dame mit zwei ſehr hübſchen jungen Mädchen. „Wer war der Herr, der ſoeben von Ihnen ging?“ fragte die Dame. „Es war Goethe,“ antwortete Frau von Reck. „O wie leid thut es mir, erwiederte die Dame, daß er nicht geblieben iſt, und daß ich nicht das Glück gehabt habe, ſeine Bekanntſchaft zu machen!“ „O daran haben Sie durchaus nichts verloren, meine Liebe, ſagte die Reck. Er iſt ſehr langweilig unter Damen, es ſey denn, daß ſie hübſch genug wären, ihm einiges Intereſſe einzu¬ flößen. Frauen unſeres Alters dürfen nicht daran denken, ihn beredt und liebenswürdig zu machen.“
„Als die beiden Mädchen mit ihrer Mutter nach Hauſe gingen, gedachten ſie der Worte der Frau v. Reck. Wir ſind jung, wir ſind hübſch, ſagten ſie, laßt doch ſehen, ob es uns nicht gelingt, jenen berühmten Wilden einzufangen und zu zähmen! Am anderen
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Einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich ma¬
chen kann; ſonſt ſtirbt man vor langer Weile. Auch
war ich faſt jedesmal ſo glücklich, dort irgend eine kleine
Wahlverwandtſchaft zu finden, die mir während der
wenigen Wochen einige Unterhaltung gab. Beſonders
erinnere ich mich eines Falles, der mir noch jetzt Ver¬
gnügen macht.“
„Ich beſuchte nämlich eines Tages Frau von
Reck. Nachdem wir uns eine Weile nicht ſonderlich
unterhalten und ich wieder Abſchied genommen hatte,
begegnete mir im Hinausgehen eine Dame mit zwei
ſehr hübſchen jungen Mädchen. „Wer war der Herr,
der ſoeben von Ihnen ging?“ fragte die Dame. „Es
war Goethe,“ antwortete Frau von Reck. „O wie
leid thut es mir, erwiederte die Dame, daß er nicht
geblieben iſt, und daß ich nicht das Glück gehabt habe,
ſeine Bekanntſchaft zu machen!“ „O daran haben Sie
durchaus nichts verloren, meine Liebe, ſagte die Reck.
Er iſt ſehr langweilig unter Damen, es ſey denn, daß
ſie hübſch genug wären, ihm einiges Intereſſe einzu¬
flößen. Frauen unſeres Alters dürfen nicht daran
denken, ihn beredt und liebenswürdig zu machen.“
„Als die beiden Mädchen mit ihrer Mutter nach
Hauſe gingen, gedachten ſie der Worte der Frau v.
Reck. Wir ſind jung, wir ſind hübſch, ſagten ſie, laßt
doch ſehen, ob es uns nicht gelingt, jenen berühmten
Wilden einzufangen und zu zähmen! Am anderen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/379>, abgerufen am 30.11.2024.
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