lich zu seyn. Daß tägliche Leben ist, wie gesagt, lehr¬ reicher, als das wirksamste Buch."
Aber doch, bemerkte ich, sucht man sich bei Kindern in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht Dinge spricht, welche zu hören wir für sie nicht gut halten.
"Das ist recht löblich, erwiederte Goethe, und ich thue es selbst nicht anders; allein ich halte diese Vor¬ sicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die Hunde, einen so scharfen und feinen Geruch, daß sie Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme vor allem Anderen. Sie wissen auch immer ganz ge¬ nau, wie dieser oder jener Hausfreund zu ihren Eltern steht, und da sie nun in der Regel noch keine Verstel¬ lung üben, so können sie uns als die trefflichsten Ba¬ rometer dienen, um an ihnen den Grad unserer Gunst oder Ungunst bei den Ihrigen wahrzunehmen."
"Man hatte einst in der Gesellschaft schlecht von mir gesprochen, und zwar erschien die Sache für mich von solcher Bedeutung, daß mir sehr viel daran liegen mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬ gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen mich gesinnt; ich dachte hin und her und konnte gar nicht herausbringen, von wem jenes gehässige Gerede könne ausgegangen seyn. Mit einemmale bekomme ich Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntschaft, die
lich zu ſeyn. Daß tägliche Leben iſt, wie geſagt, lehr¬ reicher, als das wirkſamſte Buch.“
Aber doch, bemerkte ich, ſucht man ſich bei Kindern in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht Dinge ſpricht, welche zu hören wir für ſie nicht gut halten.
„Das iſt recht löblich, erwiederte Goethe, und ich thue es ſelbſt nicht anders; allein ich halte dieſe Vor¬ ſicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die Hunde, einen ſo ſcharfen und feinen Geruch, daß ſie Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme vor allem Anderen. Sie wiſſen auch immer ganz ge¬ nau, wie dieſer oder jener Hausfreund zu ihren Eltern ſteht, und da ſie nun in der Regel noch keine Verſtel¬ lung üben, ſo können ſie uns als die trefflichſten Ba¬ rometer dienen, um an ihnen den Grad unſerer Gunſt oder Ungunſt bei den Ihrigen wahrzunehmen.“
„Man hatte einſt in der Geſellſchaft ſchlecht von mir geſprochen, und zwar erſchien die Sache für mich von ſolcher Bedeutung, daß mir ſehr viel daran liegen mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬ gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen mich geſinnt; ich dachte hin und her und konnte gar nicht herausbringen, von wem jenes gehäſſige Gerede könne ausgegangen ſeyn. Mit einemmale bekomme ich Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntſchaft, die
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lich zu ſeyn. Daß tägliche Leben iſt, wie geſagt, lehr¬
reicher, als das wirkſamſte Buch.“
Aber doch, bemerkte ich, ſucht man ſich bei Kindern
in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht
Dinge ſpricht, welche zu hören wir für ſie nicht gut
halten.
„Das iſt recht löblich, erwiederte Goethe, und ich
thue es ſelbſt nicht anders; allein ich halte dieſe Vor¬
ſicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die
Hunde, einen ſo ſcharfen und feinen Geruch, daß ſie
Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme
vor allem Anderen. Sie wiſſen auch immer ganz ge¬
nau, wie dieſer oder jener Hausfreund zu ihren Eltern
ſteht, und da ſie nun in der Regel noch keine Verſtel¬
lung üben, ſo können ſie uns als die trefflichſten Ba¬
rometer dienen, um an ihnen den Grad unſerer Gunſt
oder Ungunſt bei den Ihrigen wahrzunehmen.“
„Man hatte einſt in der Geſellſchaft ſchlecht von
mir geſprochen, und zwar erſchien die Sache für mich
von ſolcher Bedeutung, daß mir ſehr viel daran liegen
mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬
gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen
mich geſinnt; ich dachte hin und her und konnte gar
nicht herausbringen, von wem jenes gehäſſige Gerede
könne ausgegangen ſeyn. Mit einemmale bekomme ich
Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der
Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntſchaft, die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/352>, abgerufen am 27.11.2024.
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