hinzudeuten, in Hoffnung das Gute zu erreichen ohne die Anwendung gewaltsamer Mittel. In England ge¬ boren, würden Sie dieser letzten Art sicher nicht ent¬ gangen seyn.
"Wofür halten Sie mich? erwiederte Goethe, der nun ganz die Miene und den Ton seines Mephisto annahm. Ich hätte sollen Mißbräuchen nachspüren, und noch obendrein sie aufdecken und sie namhaft machen, ich, der ich in England von Mißbräuchen würde gelebt haben? -- In England geboren, wäre ich ein reicher Herzog gewesen, oder vielmehr ein Bi¬ schof mit jährlichen 30,000 Pfund Sterling Einkünfte."
Recht hübsch! erwiederte ich; aber wenn Sie zufällig nicht das große Loos, sondern eine Niete gezogen hät¬ ten? Es giebt so unendlich viele Nieten.
"Nicht Jeder, mein Allerbester, erwiederte Goethe, ist für das große Loos gemacht. Glauben Sie denn, daß ich die Sottise begangen haben würde, auf eine Niete zu fallen? -- Ich hätte vor allen Dingen die Partie der 39 Artikel ergriffen; ich hätte sie nach allen Seiten und Richtungen hin verfochten, besonders den Artikel 9, der für mich ein Gegenstand einer ganz be¬ sondern Aufmerksamkeit und zärtlichen Hingebung ge¬ wesen seyn würde. Ich hätte in Reimen und Prosa so lange und so viel geheuchelt und gelogen, daß meine 30,000 Pfund jährlich mir nicht hätten entgehen sollen. Und dann, einmal zu dieser Höhe gelangt, würde ich
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hinzudeuten, in Hoffnung das Gute zu erreichen ohne die Anwendung gewaltſamer Mittel. In England ge¬ boren, würden Sie dieſer letzten Art ſicher nicht ent¬ gangen ſeyn.
„Wofür halten Sie mich? erwiederte Goethe, der nun ganz die Miene und den Ton ſeines Mephiſto annahm. Ich hätte ſollen Mißbräuchen nachſpüren, und noch obendrein ſie aufdecken und ſie namhaft machen, ich, der ich in England von Mißbräuchen würde gelebt haben? — In England geboren, wäre ich ein reicher Herzog geweſen, oder vielmehr ein Bi¬ ſchof mit jährlichen 30,000 Pfund Sterling Einkünfte.“
Recht hübſch! erwiederte ich; aber wenn Sie zufällig nicht das große Loos, ſondern eine Niete gezogen hät¬ ten? Es giebt ſo unendlich viele Nieten.
„Nicht Jeder, mein Allerbeſter, erwiederte Goethe, iſt für das große Loos gemacht. Glauben Sie denn, daß ich die Sottiſe begangen haben würde, auf eine Niete zu fallen? — Ich hätte vor allen Dingen die Partie der 39 Artikel ergriffen; ich hätte ſie nach allen Seiten und Richtungen hin verfochten, beſonders den Artikel 9, der für mich ein Gegenſtand einer ganz be¬ ſondern Aufmerkſamkeit und zärtlichen Hingebung ge¬ weſen ſeyn würde. Ich hätte in Reimen und Proſa ſo lange und ſo viel geheuchelt und gelogen, daß meine 30,000 Pfund jährlich mir nicht hätten entgehen ſollen. Und dann, einmal zu dieſer Höhe gelangt, würde ich
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hinzudeuten, in Hoffnung das Gute zu erreichen ohne
die Anwendung gewaltſamer Mittel. In England ge¬
boren, würden Sie dieſer letzten Art ſicher nicht ent¬
gangen ſeyn.
„Wofür halten Sie mich? erwiederte Goethe, der
nun ganz die Miene und den Ton ſeines Mephiſto
annahm. Ich hätte ſollen Mißbräuchen nachſpüren,
und noch obendrein ſie aufdecken und ſie namhaft
machen, ich, der ich in England von Mißbräuchen
würde gelebt haben? — In England geboren, wäre
ich ein reicher Herzog geweſen, oder vielmehr ein Bi¬
ſchof mit jährlichen 30,000 Pfund Sterling Einkünfte.“
Recht hübſch! erwiederte ich; aber wenn Sie zufällig
nicht das große Loos, ſondern eine Niete gezogen hät¬
ten? Es giebt ſo unendlich viele Nieten.
„Nicht Jeder, mein Allerbeſter, erwiederte Goethe,
iſt für das große Loos gemacht. Glauben Sie denn,
daß ich die Sottiſe begangen haben würde, auf eine
Niete zu fallen? — Ich hätte vor allen Dingen die
Partie der 39 Artikel ergriffen; ich hätte ſie nach allen
Seiten und Richtungen hin verfochten, beſonders den
Artikel 9, der für mich ein Gegenſtand einer ganz be¬
ſondern Aufmerkſamkeit und zärtlichen Hingebung ge¬
weſen ſeyn würde. Ich hätte in Reimen und Proſa
ſo lange und ſo viel geheuchelt und gelogen, daß meine
30,000 Pfund jährlich mir nicht hätten entgehen ſollen.
Und dann, einmal zu dieſer Höhe gelangt, würde ich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/345>, abgerufen am 24.11.2024.
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