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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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lich; denn wenn Einer in seinem zwanzigsten Jahre nicht
jung ist, wie soll er es in seinem vierzigsten seyn!"

Goethe seufzte und schwieg.

Ich dachte an die glückliche Zeit des vorigen Jahr¬
hunderts, in welche Goethe's Jugend fiel; es trat mir
die Sommerluft von Seesenheim vor die Seele und
ich erinnerte ihn an die Verse:

Nachmittage saßen wir
Junges Volk im Kühlen.

"Ach! seufzte Goethe, das waren freilich schöne
Zeiten! -- Doch wir wollen sie uns aus dem Sinne
schlagen, damit uns die grauen Nebeltage der Gegen¬
wart nicht ganz unerträglich werden."

"Es thäte Noth, sagte ich, daß ein zweiter Erlöser
käme, um den Ernst, das Unbehagen und den ungeheu¬
ren Druck der jetzigen Zustände uns abzunehmen.

"Käme er, antwortete Goethe, man würde ihn zum
zweitenmale kreuzigen. Doch wir brauchten keineswegs
ein so Großes. Könnte man nur den Deutschen, nach
dem Vorbilde der Engländer, weniger Philosophie und
mehr Thatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis bei¬
bringen, so würde uns schon ein gutes Stück Erlösung
zu Theil werden, ohne daß wir auf das Erscheinen der
persönlichen Hoheit eines zweiten Christus zu warten
brauchten. Sehr viel könnte geschehen von unten, vom
Volke, durch Schulen und häusliche Erziehung, sehr
viel von oben durch die Herrscher und ihre Nächsten."

lich; denn wenn Einer in ſeinem zwanzigſten Jahre nicht
jung iſt, wie ſoll er es in ſeinem vierzigſten ſeyn!“

Goethe ſeufzte und ſchwieg.

Ich dachte an die glückliche Zeit des vorigen Jahr¬
hunderts, in welche Goethe's Jugend fiel; es trat mir
die Sommerluft von Seeſenheim vor die Seele und
ich erinnerte ihn an die Verſe:

Nachmittage ſaßen wir
Junges Volk im Kühlen.

„Ach! ſeufzte Goethe, das waren freilich ſchöne
Zeiten! — Doch wir wollen ſie uns aus dem Sinne
ſchlagen, damit uns die grauen Nebeltage der Gegen¬
wart nicht ganz unerträglich werden.“

„Es thäte Noth, ſagte ich, daß ein zweiter Erlöſer
käme, um den Ernſt, das Unbehagen und den ungeheu¬
ren Druck der jetzigen Zuſtände uns abzunehmen.

„Käme er, antwortete Goethe, man würde ihn zum
zweitenmale kreuzigen. Doch wir brauchten keineswegs
ein ſo Großes. Könnte man nur den Deutſchen, nach
dem Vorbilde der Engländer, weniger Philoſophie und
mehr Thatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis bei¬
bringen, ſo würde uns ſchon ein gutes Stück Erlöſung
zu Theil werden, ohne daß wir auf das Erſcheinen der
perſönlichen Hoheit eines zweiten Chriſtus zu warten
brauchten. Sehr viel könnte geſchehen von unten, vom
Volke, durch Schulen und häusliche Erziehung, ſehr
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[252/0274] lich; denn wenn Einer in ſeinem zwanzigſten Jahre nicht jung iſt, wie ſoll er es in ſeinem vierzigſten ſeyn!“ Goethe ſeufzte und ſchwieg. Ich dachte an die glückliche Zeit des vorigen Jahr¬ hunderts, in welche Goethe's Jugend fiel; es trat mir die Sommerluft von Seeſenheim vor die Seele und ich erinnerte ihn an die Verſe: Nachmittage ſaßen wir Junges Volk im Kühlen. „Ach! ſeufzte Goethe, das waren freilich ſchöne Zeiten! — Doch wir wollen ſie uns aus dem Sinne ſchlagen, damit uns die grauen Nebeltage der Gegen¬ wart nicht ganz unerträglich werden.“ „Es thäte Noth, ſagte ich, daß ein zweiter Erlöſer käme, um den Ernſt, das Unbehagen und den ungeheu¬ ren Druck der jetzigen Zuſtände uns abzunehmen. „Käme er, antwortete Goethe, man würde ihn zum zweitenmale kreuzigen. Doch wir brauchten keineswegs ein ſo Großes. Könnte man nur den Deutſchen, nach dem Vorbilde der Engländer, weniger Philoſophie und mehr Thatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis bei¬ bringen, ſo würde uns ſchon ein gutes Stück Erlöſung zu Theil werden, ohne daß wir auf das Erſcheinen der perſönlichen Hoheit eines zweiten Chriſtus zu warten brauchten. Sehr viel könnte geſchehen von unten, vom Volke, durch Schulen und häusliche Erziehung, ſehr viel von oben durch die Herrſcher und ihre Nächſten.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/274>, abgerufen am 25.11.2024.