stämmen umgeben, so wird ihre Tendenz immer nach oben gehen, immer nach freier Luft und Licht. Nach den Seiten hin wird sie nur wenige schwache Aeste treiben, und auch diese werden im Laufe des Jahrhun¬ derts wieder verkümmern und abfallen. Hat sie aber endlich erreicht, sich mit ihrem Gipfel oben im Freien zu fühlen, so wird sie sich beruhigen und nun anfangen sich nach den Seiten hin auszubreiten und eine Krone zu bilden. Allein sie ist auf dieser Stufe bereits über ihr mittleres Alter hinaus, ihr vieljähriger Trieb nach oben hat ihre frischesten Kräfte hingenommen, und ihr Bestreben, sich jetzt noch nach der Breite hin mächtig zu erweisen, wird nicht mehr den rechten Erfolg haben. Hoch, stark und schlankstämmig wird sie nach vollen¬ detem Wuchse dastehen, doch ohne ein solches Verhält¬ niß zwischen Stamm und Krone, um in der That schön zu seyn."
"Wächst hinwieder die Eiche an feuchten, sumpfigen Orten und ist der Boden zu nahrhaft, so wird sie, bei gehörigem Raum, frühzeitig viele Aeste und Zweige nach allen Seiten treiben; es werden jedoch die widerstre¬ benden, retardirenden Einwirkungen fehlen, das Knorrige, Eigensinnige, Zackige wird sich nicht entwickeln, und, aus einiger Ferne gesehen, wird der Baum ein schwaches, lindenartiges Ansehen gewinnen, und er wird nicht schön seyn, wenigstens nicht als Eiche."
"Wächst sie endlich an bergigen Abhängen, auf dürf¬
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ſtämmen umgeben, ſo wird ihre Tendenz immer nach oben gehen, immer nach freier Luft und Licht. Nach den Seiten hin wird ſie nur wenige ſchwache Aeſte treiben, und auch dieſe werden im Laufe des Jahrhun¬ derts wieder verkümmern und abfallen. Hat ſie aber endlich erreicht, ſich mit ihrem Gipfel oben im Freien zu fühlen, ſo wird ſie ſich beruhigen und nun anfangen ſich nach den Seiten hin auszubreiten und eine Krone zu bilden. Allein ſie iſt auf dieſer Stufe bereits über ihr mittleres Alter hinaus, ihr vieljähriger Trieb nach oben hat ihre friſcheſten Kräfte hingenommen, und ihr Beſtreben, ſich jetzt noch nach der Breite hin mächtig zu erweiſen, wird nicht mehr den rechten Erfolg haben. Hoch, ſtark und ſchlankſtämmig wird ſie nach vollen¬ detem Wuchſe daſtehen, doch ohne ein ſolches Verhält¬ niß zwiſchen Stamm und Krone, um in der That ſchön zu ſeyn.“
„Wächſt hinwieder die Eiche an feuchten, ſumpfigen Orten und iſt der Boden zu nahrhaft, ſo wird ſie, bei gehörigem Raum, frühzeitig viele Aeſte und Zweige nach allen Seiten treiben; es werden jedoch die widerſtre¬ benden, retardirenden Einwirkungen fehlen, das Knorrige, Eigenſinnige, Zackige wird ſich nicht entwickeln, und, aus einiger Ferne geſehen, wird der Baum ein ſchwaches, lindenartiges Anſehen gewinnen, und er wird nicht ſchön ſeyn, wenigſtens nicht als Eiche.“
„Wächſt ſie endlich an bergigen Abhängen, auf dürf¬
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ſtämmen umgeben, ſo wird ihre Tendenz immer nach
oben gehen, immer nach freier Luft und Licht. Nach
den Seiten hin wird ſie nur wenige ſchwache Aeſte
treiben, und auch dieſe werden im Laufe des Jahrhun¬
derts wieder verkümmern und abfallen. Hat ſie aber
endlich erreicht, ſich mit ihrem Gipfel oben im Freien
zu fühlen, ſo wird ſie ſich beruhigen und nun anfangen
ſich nach den Seiten hin auszubreiten und eine Krone
zu bilden. Allein ſie iſt auf dieſer Stufe bereits über
ihr mittleres Alter hinaus, ihr vieljähriger Trieb nach
oben hat ihre friſcheſten Kräfte hingenommen, und ihr
Beſtreben, ſich jetzt noch nach der Breite hin mächtig
zu erweiſen, wird nicht mehr den rechten Erfolg haben.
Hoch, ſtark und ſchlankſtämmig wird ſie nach vollen¬
detem Wuchſe daſtehen, doch ohne ein ſolches Verhält¬
niß zwiſchen Stamm und Krone, um in der That ſchön
zu ſeyn.“
„Wächſt hinwieder die Eiche an feuchten, ſumpfigen
Orten und iſt der Boden zu nahrhaft, ſo wird ſie, bei
gehörigem Raum, frühzeitig viele Aeſte und Zweige nach
allen Seiten treiben; es werden jedoch die widerſtre¬
benden, retardirenden Einwirkungen fehlen, das Knorrige,
Eigenſinnige, Zackige wird ſich nicht entwickeln, und,
aus einiger Ferne geſehen, wird der Baum ein ſchwaches,
lindenartiges Anſehen gewinnen, und er wird nicht ſchön
ſeyn, wenigſtens nicht als Eiche.“
„Wächſt ſie endlich an bergigen Abhängen, auf dürf¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/169>, abgerufen am 24.11.2024.
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