Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Bewegungen und den veränderten abwechselnden
Ton seiner Stimme so aus seinem Innern heraus, daß
man es mit leiblichen Augen zu sehen glaubte. Beim
Anblick dieses Orest hätte Schiller die Furien sicher
nicht vermißt; sie waren hinter ihm her, sie waren um
ihn herum.

Die bedeutende Stelle, wo Orest, aus seiner Er¬
mattung erwachend, sich in die Unterwelt versetzt glaubt,
gelang zu hohem Erstaunen. Man sah die Reihen der
Ahnherren in Gesprächen wandeln, man sah Orest sich
ihnen gesellen, sie befragen und sich an sie anschließen.
Man fühlte sich selbst versetzt und in die Mitte dieser
Seligen mit aufgenommen, so rein und tief war die
Empfindung des Künstlers und so groß sein Vermögen,
das Unfaßlichste uns vor die Augen zu bringen.

"Ihr seid doch noch Leute, auf die sich wirken läßt!
erwiederte Göthe lachend. Aber fahren Sie fort und
sagen Sie weiter. Er scheint also wirklich gut gewesen
zu seyn und seine körperlichen Mittel von Bedeutung?"

Sein Organ, sagte ich, war rein und wohltönend,
auch viel geübt und dadurch der höchsten Biegsamkeit
und Mannigfaltigkeit fähig. Physische Kraft und kör¬
perliche Gewandtheit standen ihm sodann bei Aus¬
führung aller Schwierigkeiten zur Seite. Es schien,
daß er es sein Lebelang an der mannigfaltigsten körper¬
lichen Ausbildung und Uebung nicht hatte fehlen lassen.

"Ein Schauspieler, sagte Goethe, sollte eigentlich

lichen Bewegungen und den veränderten abwechſelnden
Ton ſeiner Stimme ſo aus ſeinem Innern heraus, daß
man es mit leiblichen Augen zu ſehen glaubte. Beim
Anblick dieſes Oreſt hätte Schiller die Furien ſicher
nicht vermißt; ſie waren hinter ihm her, ſie waren um
ihn herum.

Die bedeutende Stelle, wo Oreſt, aus ſeiner Er¬
mattung erwachend, ſich in die Unterwelt verſetzt glaubt,
gelang zu hohem Erſtaunen. Man ſah die Reihen der
Ahnherren in Geſprächen wandeln, man ſah Oreſt ſich
ihnen geſellen, ſie befragen und ſich an ſie anſchließen.
Man fühlte ſich ſelbſt verſetzt und in die Mitte dieſer
Seligen mit aufgenommen, ſo rein und tief war die
Empfindung des Künſtlers und ſo groß ſein Vermögen,
das Unfaßlichſte uns vor die Augen zu bringen.

„Ihr ſeid doch noch Leute, auf die ſich wirken läßt!
erwiederte Göthe lachend. Aber fahren Sie fort und
ſagen Sie weiter. Er ſcheint alſo wirklich gut geweſen
zu ſeyn und ſeine körperlichen Mittel von Bedeutung?“

Sein Organ, ſagte ich, war rein und wohltönend,
auch viel geübt und dadurch der höchſten Biegſamkeit
und Mannigfaltigkeit fähig. Phyſiſche Kraft und kör¬
perliche Gewandtheit ſtanden ihm ſodann bei Aus¬
führung aller Schwierigkeiten zur Seite. Es ſchien,
daß er es ſein Lebelang an der mannigfaltigſten körper¬
lichen Ausbildung und Uebung nicht hatte fehlen laſſen.

„Ein Schauſpieler, ſagte Goethe, ſollte eigentlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0161" n="139"/>
lichen Bewegungen und den veränderten abwech&#x017F;elnden<lb/>
Ton &#x017F;einer Stimme &#x017F;o aus &#x017F;einem Innern heraus, daß<lb/>
man es mit leiblichen Augen zu &#x017F;ehen glaubte. Beim<lb/>
Anblick die&#x017F;es Ore&#x017F;t hätte Schiller die Furien &#x017F;icher<lb/>
nicht vermißt; &#x017F;ie waren hinter ihm her, &#x017F;ie waren um<lb/>
ihn herum.</p><lb/>
          <p>Die bedeutende Stelle, wo Ore&#x017F;t, aus &#x017F;einer Er¬<lb/>
mattung erwachend, &#x017F;ich in die Unterwelt ver&#x017F;etzt glaubt,<lb/>
gelang zu hohem Er&#x017F;taunen. Man &#x017F;ah die Reihen der<lb/>
Ahnherren in Ge&#x017F;prächen wandeln, man &#x017F;ah Ore&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
ihnen ge&#x017F;ellen, &#x017F;ie befragen und &#x017F;ich an &#x017F;ie an&#x017F;chließen.<lb/>
Man fühlte &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;etzt und in die Mitte die&#x017F;er<lb/>
Seligen mit aufgenommen, &#x017F;o rein und tief war die<lb/>
Empfindung des Kün&#x017F;tlers und &#x017F;o groß &#x017F;ein Vermögen,<lb/>
das Unfaßlich&#x017F;te uns vor die Augen zu bringen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ihr &#x017F;eid doch noch Leute, auf die &#x017F;ich wirken läßt!<lb/>
erwiederte Göthe lachend. Aber fahren Sie fort und<lb/>
&#x017F;agen Sie weiter. Er &#x017F;cheint al&#x017F;o wirklich gut gewe&#x017F;en<lb/>
zu &#x017F;eyn und &#x017F;eine körperlichen Mittel von Bedeutung?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Sein Organ, &#x017F;agte ich, war rein und wohltönend,<lb/>
auch viel geübt und dadurch der höch&#x017F;ten Bieg&#x017F;amkeit<lb/>
und Mannigfaltigkeit fähig. Phy&#x017F;i&#x017F;che Kraft und kör¬<lb/>
perliche Gewandtheit &#x017F;tanden ihm &#x017F;odann bei Aus¬<lb/>
führung aller Schwierigkeiten zur Seite. Es &#x017F;chien,<lb/>
daß er es &#x017F;ein Lebelang an der mannigfaltig&#x017F;ten körper¬<lb/>
lichen Ausbildung und Uebung nicht hatte fehlen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ein Schau&#x017F;pieler, &#x017F;agte Goethe, &#x017F;ollte eigentlich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0161] lichen Bewegungen und den veränderten abwechſelnden Ton ſeiner Stimme ſo aus ſeinem Innern heraus, daß man es mit leiblichen Augen zu ſehen glaubte. Beim Anblick dieſes Oreſt hätte Schiller die Furien ſicher nicht vermißt; ſie waren hinter ihm her, ſie waren um ihn herum. Die bedeutende Stelle, wo Oreſt, aus ſeiner Er¬ mattung erwachend, ſich in die Unterwelt verſetzt glaubt, gelang zu hohem Erſtaunen. Man ſah die Reihen der Ahnherren in Geſprächen wandeln, man ſah Oreſt ſich ihnen geſellen, ſie befragen und ſich an ſie anſchließen. Man fühlte ſich ſelbſt verſetzt und in die Mitte dieſer Seligen mit aufgenommen, ſo rein und tief war die Empfindung des Künſtlers und ſo groß ſein Vermögen, das Unfaßlichſte uns vor die Augen zu bringen. „Ihr ſeid doch noch Leute, auf die ſich wirken läßt! erwiederte Göthe lachend. Aber fahren Sie fort und ſagen Sie weiter. Er ſcheint alſo wirklich gut geweſen zu ſeyn und ſeine körperlichen Mittel von Bedeutung?“ Sein Organ, ſagte ich, war rein und wohltönend, auch viel geübt und dadurch der höchſten Biegſamkeit und Mannigfaltigkeit fähig. Phyſiſche Kraft und kör¬ perliche Gewandtheit ſtanden ihm ſodann bei Aus¬ führung aller Schwierigkeiten zur Seite. Es ſchien, daß er es ſein Lebelang an der mannigfaltigſten körper¬ lichen Ausbildung und Uebung nicht hatte fehlen laſſen. „Ein Schauſpieler, ſagte Goethe, ſollte eigentlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/161
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/161>, abgerufen am 21.11.2024.