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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Aber wie es auch sonst im Leben zu gehen
pflegt, daß wir wohl eines geliebten Todten ge¬
denken, doch bei dem Geräusch des fordernden
Tages oft Wochen und Monate lang nur flüch¬
tig, und daß die stillen Augenblicke einer solchen
Vertiefung, wo wir ein vor uns dahingegangenes
Geliebtes in der ganzen Frische des Lebens wieder
zu besitzen glauben, zu den seltenen schönen Stun¬
den gehören, so erging es mir auch mit Goethe.

Es vergingen oft Monate, wo meine Seele,
durch Berührungen des täglichen Lebens hinge¬
nommen, für ihn todt war und er meinem
Geiste mit keinem Worte zusprach. Und wieder¬
um traten andere Wochen und Monate unfrucht¬
barer Stimmung ein, wo in meinem Gemüth
nichts keimen und nichts blühen wollte. Solche
nichtige Zeiten mußte ich mit großer Geduld nutz¬
los vorübergehen lassen, denn das in solchen Zu¬
ständen Geschriebene wäre nichts werth gewesen.
Ich mußte vom guten Glück die Wiederkehr von
Stunden erwarten, wo das Vergangene mir in
voller Lebendigkeit gegenwärtig und mein Inneres
an geistiger Kraft und sinnlichem Behagen auf

Aber wie es auch ſonſt im Leben zu gehen
pflegt, daß wir wohl eines geliebten Todten ge¬
denken, doch bei dem Geräuſch des fordernden
Tages oft Wochen und Monate lang nur flüch¬
tig, und daß die ſtillen Augenblicke einer ſolchen
Vertiefung, wo wir ein vor uns dahingegangenes
Geliebtes in der ganzen Friſche des Lebens wieder
zu beſitzen glauben, zu den ſeltenen ſchönen Stun¬
den gehören, ſo erging es mir auch mit Goethe.

Es vergingen oft Monate, wo meine Seele,
durch Berührungen des täglichen Lebens hinge¬
nommen, für ihn todt war und er meinem
Geiſte mit keinem Worte zuſprach. Und wieder¬
um traten andere Wochen und Monate unfrucht¬
barer Stimmung ein, wo in meinem Gemüth
nichts keimen und nichts blühen wollte. Solche
nichtige Zeiten mußte ich mit großer Geduld nutz¬
los vorübergehen laſſen, denn das in ſolchen Zu¬
ſtänden Geſchriebene wäre nichts werth geweſen.
Ich mußte vom guten Glück die Wiederkehr von
Stunden erwarten, wo das Vergangene mir in
voller Lebendigkeit gegenwärtig und mein Inneres
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[X/0016] Aber wie es auch ſonſt im Leben zu gehen pflegt, daß wir wohl eines geliebten Todten ge¬ denken, doch bei dem Geräuſch des fordernden Tages oft Wochen und Monate lang nur flüch¬ tig, und daß die ſtillen Augenblicke einer ſolchen Vertiefung, wo wir ein vor uns dahingegangenes Geliebtes in der ganzen Friſche des Lebens wieder zu beſitzen glauben, zu den ſeltenen ſchönen Stun¬ den gehören, ſo erging es mir auch mit Goethe. Es vergingen oft Monate, wo meine Seele, durch Berührungen des täglichen Lebens hinge¬ nommen, für ihn todt war und er meinem Geiſte mit keinem Worte zuſprach. Und wieder¬ um traten andere Wochen und Monate unfrucht¬ barer Stimmung ein, wo in meinem Gemüth nichts keimen und nichts blühen wollte. Solche nichtige Zeiten mußte ich mit großer Geduld nutz¬ los vorübergehen laſſen, denn das in ſolchen Zu¬ ſtänden Geſchriebene wäre nichts werth geweſen. Ich mußte vom guten Glück die Wiederkehr von Stunden erwarten, wo das Vergangene mir in voller Lebendigkeit gegenwärtig und mein Inneres an geiſtiger Kraft und ſinnlichem Behagen auf

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/16>, abgerufen am 21.11.2024.