Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

zuletzt einen Kopf; bey den höher stehenden Thieren und
Menschen sind es die Wirbelknochen, die sich anfügen
und anfügen und mit dem Kopf abschließen, in welchem
sich die Kräfte concentriren."

"Was so bey Einzelnen geschieht, geschieht auch bey
ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe
von Einzelnheiten, die sich aneinander schließen, bringen
als Gesammtheit etwas hervor, das auch den Schluß
macht, und als Kopf des Ganzen anzusehen ist, den
Bienen-König. Wie dieses geschieht ist geheimnißvoll,
schwer auszusprechen, aber ich könnte sagen, daß ich
darüber meine Gedanken habe."

"So bringt ein Volk seine Helden hervor, die, gleich
Halbgöttern, zu Schutz und Heil an der Spitze stehen;
und so vereinigten sich die poetischen Kräfte der Fran¬
zosen in Voltaire. Solche Häuptlinge eines Volkes
sind groß in der Generation in der sie wirken; manche
dauren später hinaus; die meisten werden durch Andere
ersetzt und von der Folgezeit vergessen."

Ich freute mich dieser bedeutenden Gedanken. Goethe
sprach sodann über Naturforscher, denen es vor allem
nur daran liege, ihre Meinung zu beweisen. "Herr
von Buch, sagte er, hat ein neues Werk herausgege¬
ben, das gleich im Titel eine Hypothese enthält. Seine
Schrift soll von Granitblöcken handeln, die hier und
dort umherliegen, man weiß nicht wie und woher. Da
aber Herr v. Buch die Hypothese im Schilde führt,

zuletzt einen Kopf; bey den hoͤher ſtehenden Thieren und
Menſchen ſind es die Wirbelknochen, die ſich anfuͤgen
und anfuͤgen und mit dem Kopf abſchließen, in welchem
ſich die Kraͤfte concentriren.“

„Was ſo bey Einzelnen geſchieht, geſchieht auch bey
ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe
von Einzelnheiten, die ſich aneinander ſchließen, bringen
als Geſammtheit etwas hervor, das auch den Schluß
macht, und als Kopf des Ganzen anzuſehen iſt, den
Bienen-Koͤnig. Wie dieſes geſchieht iſt geheimnißvoll,
ſchwer auszuſprechen, aber ich koͤnnte ſagen, daß ich
daruͤber meine Gedanken habe.“

„So bringt ein Volk ſeine Helden hervor, die, gleich
Halbgoͤttern, zu Schutz und Heil an der Spitze ſtehen;
und ſo vereinigten ſich die poetiſchen Kraͤfte der Fran¬
zoſen in Voltaire. Solche Haͤuptlinge eines Volkes
ſind groß in der Generation in der ſie wirken; manche
dauren ſpaͤter hinaus; die meiſten werden durch Andere
erſetzt und von der Folgezeit vergeſſen.“

Ich freute mich dieſer bedeutenden Gedanken. Goethe
ſprach ſodann uͤber Naturforſcher, denen es vor allem
nur daran liege, ihre Meinung zu beweiſen. „Herr
von Buch, ſagte er, hat ein neues Werk herausgege¬
ben, das gleich im Titel eine Hypotheſe enthaͤlt. Seine
Schrift ſoll von Granitbloͤcken handeln, die hier und
dort umherliegen, man weiß nicht wie und woher. Da
aber Herr v. Buch die Hypotheſe im Schilde fuͤhrt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0076" n="66"/>
zuletzt einen Kopf; bey den ho&#x0364;her &#x017F;tehenden Thieren und<lb/>
Men&#x017F;chen &#x017F;ind es die Wirbelknochen, die &#x017F;ich anfu&#x0364;gen<lb/>
und anfu&#x0364;gen und mit dem Kopf ab&#x017F;chließen, in welchem<lb/>
&#x017F;ich die Kra&#x0364;fte concentriren.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was &#x017F;o bey Einzelnen ge&#x017F;chieht, ge&#x017F;chieht auch bey<lb/>
ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe<lb/>
von Einzelnheiten, die &#x017F;ich aneinander &#x017F;chließen, bringen<lb/>
als Ge&#x017F;ammtheit etwas hervor, das auch den Schluß<lb/>
macht, und als Kopf des Ganzen anzu&#x017F;ehen i&#x017F;t, den<lb/>
Bienen-<hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig</hi>. Wie die&#x017F;es ge&#x017F;chieht i&#x017F;t geheimnißvoll,<lb/>
&#x017F;chwer auszu&#x017F;prechen, aber ich ko&#x0364;nnte &#x017F;agen, daß ich<lb/>
daru&#x0364;ber meine Gedanken habe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;So bringt ein Volk &#x017F;eine Helden hervor, die, gleich<lb/>
Halbgo&#x0364;ttern, zu Schutz und Heil an der Spitze &#x017F;tehen;<lb/>
und &#x017F;o vereinigten &#x017F;ich die poeti&#x017F;chen Kra&#x0364;fte der Fran¬<lb/>
zo&#x017F;en in <hi rendition="#g">Voltaire</hi>. Solche Ha&#x0364;uptlinge eines Volkes<lb/>
&#x017F;ind groß in der Generation in der &#x017F;ie wirken; manche<lb/>
dauren &#x017F;pa&#x0364;ter hinaus; die mei&#x017F;ten werden durch Andere<lb/>
er&#x017F;etzt und von der Folgezeit verge&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich freute mich die&#x017F;er bedeutenden Gedanken. Goethe<lb/>
&#x017F;prach &#x017F;odann u&#x0364;ber Naturfor&#x017F;cher, denen es vor allem<lb/>
nur daran liege, ihre Meinung zu bewei&#x017F;en. &#x201E;Herr<lb/><hi rendition="#g">von Buch</hi>, &#x017F;agte er, hat ein neues Werk herausgege¬<lb/>
ben, das gleich im Titel eine Hypothe&#x017F;e entha&#x0364;lt. Seine<lb/>
Schrift &#x017F;oll von Granitblo&#x0364;cken handeln, die hier und<lb/>
dort umherliegen, man weiß nicht wie und woher. Da<lb/>
aber Herr v. Buch die Hypothe&#x017F;e im Schilde fu&#x0364;hrt,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0076] zuletzt einen Kopf; bey den hoͤher ſtehenden Thieren und Menſchen ſind es die Wirbelknochen, die ſich anfuͤgen und anfuͤgen und mit dem Kopf abſchließen, in welchem ſich die Kraͤfte concentriren.“ „Was ſo bey Einzelnen geſchieht, geſchieht auch bey ganzen Corporationen. Die Bienen, auch eine Reihe von Einzelnheiten, die ſich aneinander ſchließen, bringen als Geſammtheit etwas hervor, das auch den Schluß macht, und als Kopf des Ganzen anzuſehen iſt, den Bienen-Koͤnig. Wie dieſes geſchieht iſt geheimnißvoll, ſchwer auszuſprechen, aber ich koͤnnte ſagen, daß ich daruͤber meine Gedanken habe.“ „So bringt ein Volk ſeine Helden hervor, die, gleich Halbgoͤttern, zu Schutz und Heil an der Spitze ſtehen; und ſo vereinigten ſich die poetiſchen Kraͤfte der Fran¬ zoſen in Voltaire. Solche Haͤuptlinge eines Volkes ſind groß in der Generation in der ſie wirken; manche dauren ſpaͤter hinaus; die meiſten werden durch Andere erſetzt und von der Folgezeit vergeſſen.“ Ich freute mich dieſer bedeutenden Gedanken. Goethe ſprach ſodann uͤber Naturforſcher, denen es vor allem nur daran liege, ihre Meinung zu beweiſen. „Herr von Buch, ſagte er, hat ein neues Werk herausgege¬ ben, das gleich im Titel eine Hypotheſe enthaͤlt. Seine Schrift ſoll von Granitbloͤcken handeln, die hier und dort umherliegen, man weiß nicht wie und woher. Da aber Herr v. Buch die Hypotheſe im Schilde fuͤhrt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/76
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/76>, abgerufen am 23.11.2024.