gab mir einen Begriff vom Ernsten und Großen, ant¬ wortete er, aber keine Gewandtheit. Der Weimarische Schloßbau hat mich vor allem gefördert. Ich mußte mit einwirken, und war sogar in dem Fall, Gesimse zeichnen zu müssen. Ich that es den Leuten von Metier gewissermaßen zuvor, weil ich ihnen in der Intention überlegen war."
Das Gespräch kam auf Zelter. "Ich habe einen Brief von ihm, sagte Goethe; er schreibt unter andern, daß die Aufführung des Messias ihm durch eine sei¬ ner Schülerinnen verdorben sey, die eine Arie zu weich, zu schwach, zu sentimental gesungen. Das Schwache ist ein Characterzug unsers Jahrhunderts. Ich habe die Hypothese, daß es in Deutschland eine Folge der An¬ strengung ist, die Franzosen los zu werden. Maler, Naturforscher, Bildhauer, Musiker, Poeten, es ist, mit wenigen Ausnahmen, alles schwach, und in der Masse steht es nicht besser."
Doch, sagte ich, gebe ich die Hoffnung nicht auf, zum Faust eine passende Musik kommen zu sehen.
"Es ist ganz unmöglich, sagte Goethe. Das Ab¬ stoßende, Widerwärtige, Furchtbare, was sie stellenweise enthalten müßte, ist der Zeit zuwider. Die Musik müßte im Character des Don Juan seyn; Mozart hätte den Faust componiren müssen. Meyer-Beer wäre vielleicht dazu fähig, allein der wird sich auf so etwas nicht ein¬ lassen; er ist zu sehr mit italienischen Theatern verflochten."
gab mir einen Begriff vom Ernſten und Großen, ant¬ wortete er, aber keine Gewandtheit. Der Weimariſche Schloßbau hat mich vor allem gefoͤrdert. Ich mußte mit einwirken, und war ſogar in dem Fall, Geſimſe zeichnen zu muͤſſen. Ich that es den Leuten von Metier gewiſſermaßen zuvor, weil ich ihnen in der Intention uͤberlegen war.“
Das Geſpraͤch kam auf Zelter. „Ich habe einen Brief von ihm, ſagte Goethe; er ſchreibt unter andern, daß die Auffuͤhrung des Meſſias ihm durch eine ſei¬ ner Schuͤlerinnen verdorben ſey, die eine Arie zu weich, zu ſchwach, zu ſentimental geſungen. Das Schwache iſt ein Characterzug unſers Jahrhunderts. Ich habe die Hypotheſe, daß es in Deutſchland eine Folge der An¬ ſtrengung iſt, die Franzoſen los zu werden. Maler, Naturforſcher, Bildhauer, Muſiker, Poeten, es iſt, mit wenigen Ausnahmen, alles ſchwach, und in der Maſſe ſteht es nicht beſſer.“
Doch, ſagte ich, gebe ich die Hoffnung nicht auf, zum Fauſt eine paſſende Muſik kommen zu ſehen.
„Es iſt ganz unmoͤglich, ſagte Goethe. Das Ab¬ ſtoßende, Widerwaͤrtige, Furchtbare, was ſie ſtellenweiſe enthalten muͤßte, iſt der Zeit zuwider. Die Muſik muͤßte im Character des Don Juan ſeyn; Mozart haͤtte den Fauſt componiren muͤſſen. Meyer-Beer waͤre vielleicht dazu faͤhig, allein der wird ſich auf ſo etwas nicht ein¬ laſſen; er iſt zu ſehr mit italieniſchen Theatern verflochten.“
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gab mir einen Begriff vom Ernſten und Großen, ant¬
wortete er, aber keine Gewandtheit. Der Weimariſche
Schloßbau hat mich vor allem gefoͤrdert. Ich mußte
mit einwirken, und war ſogar in dem Fall, Geſimſe
zeichnen zu muͤſſen. Ich that es den Leuten von Metier
gewiſſermaßen zuvor, weil ich ihnen in der Intention
uͤberlegen war.“
Das Geſpraͤch kam auf Zelter. „Ich habe einen
Brief von ihm, ſagte Goethe; er ſchreibt unter andern,
daß die Auffuͤhrung des Meſſias ihm durch eine ſei¬
ner Schuͤlerinnen verdorben ſey, die eine Arie zu weich,
zu ſchwach, zu ſentimental geſungen. Das Schwache
iſt ein Characterzug unſers Jahrhunderts. Ich habe die
Hypotheſe, daß es in Deutſchland eine Folge der An¬
ſtrengung iſt, die Franzoſen los zu werden. Maler,
Naturforſcher, Bildhauer, Muſiker, Poeten, es iſt, mit
wenigen Ausnahmen, alles ſchwach, und in der Maſſe
ſteht es nicht beſſer.“
Doch, ſagte ich, gebe ich die Hoffnung nicht auf,
zum Fauſt eine paſſende Muſik kommen zu ſehen.
„Es iſt ganz unmoͤglich, ſagte Goethe. Das Ab¬
ſtoßende, Widerwaͤrtige, Furchtbare, was ſie ſtellenweiſe
enthalten muͤßte, iſt der Zeit zuwider. Die Muſik muͤßte
im Character des Don Juan ſeyn; Mozart haͤtte den
Fauſt componiren muͤſſen. Meyer-Beer waͤre vielleicht
dazu faͤhig, allein der wird ſich auf ſo etwas nicht ein¬
laſſen; er iſt zu ſehr mit italieniſchen Theatern verflochten.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/74>, abgerufen am 23.11.2024.
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