der Stelle, wo die Hütte von Philemon und Baucis verbrannt ist, und Faust in der Nacht, auf dem Balkon seines Palastes stehend, den Rauch riecht, den ein leiser Wind ihm zuwehet.
Die Namen Philemon und Baucis, sagte ich, ver¬ setzen mich an die phrygische Küste, und lassen mich jenes berühmten alterthümlichen Paares gedenken; aber doch spielet unsere Scene in der neueren Zeit und in einer christlichen Landschaft.
"Mein Philemon und Baucis, sagte Goethe, hat mit jenem berühmten Paare des Alterthums und der sich daran knüpfenden Sage nichts zu thun. Ich gab meinem Paare bloß jene Namen, um die Charactere dadurch zu heben. Es sind ähnliche Personen und ähn¬ liche Verhältnisse, und da wirken denn die ähnlichen Namen durchaus günstig."
Wir redeten sodann über den Faust, den das Erb¬ theil seines Characters, die Unzufriedenheit, auch im Alter nicht verlassen hat, und den, bey allen Schätzen der Welt, und in einem selbstgeschaffenen neuen Reiche, ein paar Linden, eine Hütte und ein Glöckchen genieren, die nicht sein sind. Er ist darin dem israelitischen Kö¬ nig Ahab nicht unähnlich, der nichts zu besitzen wähnte, wenn er nicht auch den Weinberg Naboths hätte.
"Der Faust, wie er im fünften Act erscheint, sagte Goethe ferner, soll nach meiner Intention gerade hun¬ dert Jahr alt seyn, und, ich bin nicht gewiß, ob es
II. 23
der Stelle, wo die Huͤtte von Philemon und Baucis verbrannt iſt, und Fauſt in der Nacht, auf dem Balkon ſeines Palaſtes ſtehend, den Rauch riecht, den ein leiſer Wind ihm zuwehet.
Die Namen Philemon und Baucis, ſagte ich, ver¬ ſetzen mich an die phrygiſche Kuͤſte, und laſſen mich jenes beruͤhmten alterthuͤmlichen Paares gedenken; aber doch ſpielet unſere Scene in der neueren Zeit und in einer chriſtlichen Landſchaft.
„Mein Philemon und Baucis, ſagte Goethe, hat mit jenem beruͤhmten Paare des Alterthums und der ſich daran knuͤpfenden Sage nichts zu thun. Ich gab meinem Paare bloß jene Namen, um die Charactere dadurch zu heben. Es ſind aͤhnliche Perſonen und aͤhn¬ liche Verhaͤltniſſe, und da wirken denn die aͤhnlichen Namen durchaus guͤnſtig.“
Wir redeten ſodann uͤber den Fauſt, den das Erb¬ theil ſeines Characters, die Unzufriedenheit, auch im Alter nicht verlaſſen hat, und den, bey allen Schaͤtzen der Welt, und in einem ſelbſtgeſchaffenen neuen Reiche, ein paar Linden, eine Huͤtte und ein Gloͤckchen genieren, die nicht ſein ſind. Er iſt darin dem israelitiſchen Koͤ¬ nig Ahab nicht unaͤhnlich, der nichts zu beſitzen waͤhnte, wenn er nicht auch den Weinberg Naboths haͤtte.
„Der Fauſt, wie er im fuͤnften Act erſcheint, ſagte Goethe ferner, ſoll nach meiner Intention gerade hun¬ dert Jahr alt ſeyn, und, ich bin nicht gewiß, ob es
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der Stelle, wo die Huͤtte von Philemon und Baucis
verbrannt iſt, und Fauſt in der Nacht, auf dem Balkon
ſeines Palaſtes ſtehend, den Rauch riecht, den ein leiſer
Wind ihm zuwehet.
Die Namen Philemon und Baucis, ſagte ich, ver¬
ſetzen mich an die phrygiſche Kuͤſte, und laſſen mich
jenes beruͤhmten alterthuͤmlichen Paares gedenken; aber
doch ſpielet unſere Scene in der neueren Zeit und in
einer chriſtlichen Landſchaft.
„Mein Philemon und Baucis, ſagte Goethe, hat
mit jenem beruͤhmten Paare des Alterthums und der
ſich daran knuͤpfenden Sage nichts zu thun. Ich gab
meinem Paare bloß jene Namen, um die Charactere
dadurch zu heben. Es ſind aͤhnliche Perſonen und aͤhn¬
liche Verhaͤltniſſe, und da wirken denn die aͤhnlichen
Namen durchaus guͤnſtig.“
Wir redeten ſodann uͤber den Fauſt, den das Erb¬
theil ſeines Characters, die Unzufriedenheit, auch im
Alter nicht verlaſſen hat, und den, bey allen Schaͤtzen
der Welt, und in einem ſelbſtgeſchaffenen neuen Reiche,
ein paar Linden, eine Huͤtte und ein Gloͤckchen genieren,
die nicht ſein ſind. Er iſt darin dem israelitiſchen Koͤ¬
nig Ahab nicht unaͤhnlich, der nichts zu beſitzen waͤhnte,
wenn er nicht auch den Weinberg Naboths haͤtte.
„Der Fauſt, wie er im fuͤnften Act erſcheint, ſagte
Goethe ferner, ſoll nach meiner Intention gerade hun¬
dert Jahr alt ſeyn, und, ich bin nicht gewiß, ob es
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/359>, abgerufen am 24.11.2024.
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