zu finden, einen Helden, den Ihr lieben könntet! So soll man aber eigentlich nicht lesen, und es kommt gar nicht darauf an, daß Euch dieser oder jener Character gefalle, sondern daß Euch das Buch gefalle."
Wir Frauen sind nun einmal so, lieber Vater, sagte Frau von Goethe, indem sie über den Tisch neigend ihm die Hand drückte. "Man muß Euch schon in Eurer Liebenswürdigkeit gewähren lassen, erwiederte Goethe."
Das neueste Stück des Globe lag neben ihm, das er zur Hand nahm. Ich sprach derweile mit Frau v. Goethe über junge Engländer, deren Bekanntschaft ich im Theater gemacht.
"Was aber die Herren vom Globe für Menschen sind, begann Goethe wieder mit einigem Feuer, wie die mit jedem Tage größer, bedeutender werden und alle wie von Einem Sinne durchdrungen sind, davon hat man kaum einen Begriff. In Deutschland wäre ein solches Blatt rein unmöglich. Wir sind lauter Particu¬ liers; an Übereinstimmung ist nicht zu denken; Jeder hat die Meinungen seiner Provinz, seiner Stadt, ja seines eigenen Individuums, und wir können noch lange warten, bis wir zu einer Art von allgemeiner Durch¬ bildung kommen."
zu finden, einen Helden, den Ihr lieben koͤnntet! So ſoll man aber eigentlich nicht leſen, und es kommt gar nicht darauf an, daß Euch dieſer oder jener Character gefalle, ſondern daß Euch das Buch gefalle.“
Wir Frauen ſind nun einmal ſo, lieber Vater, ſagte Frau von Goethe, indem ſie uͤber den Tiſch neigend ihm die Hand druͤckte. „Man muß Euch ſchon in Eurer Liebenswuͤrdigkeit gewaͤhren laſſen, erwiederte Goethe.“
Das neueſte Stuͤck des Globe lag neben ihm, das er zur Hand nahm. Ich ſprach derweile mit Frau v. Goethe uͤber junge Englaͤnder, deren Bekanntſchaft ich im Theater gemacht.
„Was aber die Herren vom Globe fuͤr Menſchen ſind, begann Goethe wieder mit einigem Feuer, wie die mit jedem Tage groͤßer, bedeutender werden und alle wie von Einem Sinne durchdrungen ſind, davon hat man kaum einen Begriff. In Deutſchland waͤre ein ſolches Blatt rein unmoͤglich. Wir ſind lauter Particu¬ liers; an Übereinſtimmung iſt nicht zu denken; Jeder hat die Meinungen ſeiner Provinz, ſeiner Stadt, ja ſeines eigenen Individuums, und wir koͤnnen noch lange warten, bis wir zu einer Art von allgemeiner Durch¬ bildung kommen.“
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zu finden, einen Helden, den Ihr lieben koͤnntet! So
ſoll man aber eigentlich nicht leſen, und es kommt gar
nicht darauf an, daß Euch dieſer oder jener Character
gefalle, ſondern daß Euch das Buch gefalle.“
Wir Frauen ſind nun einmal ſo, lieber Vater, ſagte
Frau von Goethe, indem ſie uͤber den Tiſch neigend ihm
die Hand druͤckte. „Man muß Euch ſchon in Eurer
Liebenswuͤrdigkeit gewaͤhren laſſen, erwiederte Goethe.“
Das neueſte Stuͤck des Globe lag neben ihm, das
er zur Hand nahm. Ich ſprach derweile mit Frau
v. Goethe uͤber junge Englaͤnder, deren Bekanntſchaft
ich im Theater gemacht.
„Was aber die Herren vom Globe fuͤr Menſchen
ſind, begann Goethe wieder mit einigem Feuer, wie
die mit jedem Tage groͤßer, bedeutender werden und alle
wie von Einem Sinne durchdrungen ſind, davon hat
man kaum einen Begriff. In Deutſchland waͤre ein
ſolches Blatt rein unmoͤglich. Wir ſind lauter Particu¬
liers; an Übereinſtimmung iſt nicht zu denken; Jeder
hat die Meinungen ſeiner Provinz, ſeiner Stadt, ja
ſeines eigenen Individuums, und wir koͤnnen noch lange
warten, bis wir zu einer Art von allgemeiner Durch¬
bildung kommen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/28>, abgerufen am 23.11.2024.
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