"Allerdings, sagte Goethe, ist in der Kunst und Poesie die Persönlichkeit alles; allein doch hat es unter den Critikern und Kunstrichtern der neuesten Zeit schwache Personagen gegeben, die dieses nicht zugestehen, und die eine große Persönlichkeit, bey einem Werke der Poesie oder Kunst, nur als eine Art von geringer Zugabe woll¬ ten betrachtet wissen."
"Aber freylich, um eine große Persönlichkeit zu em¬ pfinden und zu ehren, muß man auch wiederum selber etwas seyn. Alle, die dem Euripides das Erhabene abgesprochen, waren arme Heringe, und einer solchen Erhebung nicht fähig; oder sie waren unverschämte Char¬ latane, die durch Anmaßlichkeit in den Augen einer schwachen Welt mehr aus sich machen wollten und auch wirklich machten als sie waren."
Montag, den 14. Februar 1831.
Mit Goethe zu Tisch. Er hatte die Memoiren des General Rapp gelesen, wodurch das Gespräch auf Napoleon kam, und welch ein Gefühl die Madame Lätitia müsse gehabt haben, sich als Mutter so vieler Helden und einer so gewaltigen Familie zu wissen. Sie hatte Napoleon, ihren zweyten Sohn, geboren als sie achtzehn Jahr alt war und ihr Gemahl dreyundzwanzig,
„Allerdings, ſagte Goethe, iſt in der Kunſt und Poeſie die Perſoͤnlichkeit alles; allein doch hat es unter den Critikern und Kunſtrichtern der neueſten Zeit ſchwache Perſonagen gegeben, die dieſes nicht zugeſtehen, und die eine große Perſoͤnlichkeit, bey einem Werke der Poeſie oder Kunſt, nur als eine Art von geringer Zugabe woll¬ ten betrachtet wiſſen.“
„Aber freylich, um eine große Perſoͤnlichkeit zu em¬ pfinden und zu ehren, muß man auch wiederum ſelber etwas ſeyn. Alle, die dem Euripides das Erhabene abgeſprochen, waren arme Heringe, und einer ſolchen Erhebung nicht faͤhig; oder ſie waren unverſchaͤmte Char¬ latane, die durch Anmaßlichkeit in den Augen einer ſchwachen Welt mehr aus ſich machen wollten und auch wirklich machten als ſie waren.“
Montag, den 14. Februar 1831.
Mit Goethe zu Tiſch. Er hatte die Memoiren des General Rapp geleſen, wodurch das Geſpraͤch auf Napoleon kam, und welch ein Gefuͤhl die Madame Laͤtitia muͤſſe gehabt haben, ſich als Mutter ſo vieler Helden und einer ſo gewaltigen Familie zu wiſſen. Sie hatte Napoleon, ihren zweyten Sohn, geboren als ſie achtzehn Jahr alt war und ihr Gemahl dreyundzwanzig,
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„Allerdings, ſagte Goethe, iſt in der Kunſt und
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den Critikern und Kunſtrichtern der neueſten Zeit ſchwache
Perſonagen gegeben, die dieſes nicht zugeſtehen, und die
eine große Perſoͤnlichkeit, bey einem Werke der Poeſie
oder Kunſt, nur als eine Art von geringer Zugabe woll¬
ten betrachtet wiſſen.“
„Aber freylich, um eine große Perſoͤnlichkeit zu em¬
pfinden und zu ehren, muß man auch wiederum ſelber
etwas ſeyn. Alle, die dem Euripides das Erhabene
abgeſprochen, waren arme Heringe, und einer ſolchen
Erhebung nicht faͤhig; oder ſie waren unverſchaͤmte Char¬
latane, die durch Anmaßlichkeit in den Augen einer
ſchwachen Welt mehr aus ſich machen wollten und auch
wirklich machten als ſie waren.“
Montag, den 14. Februar 1831.
Mit Goethe zu Tiſch. Er hatte die Memoiren des
General Rapp geleſen, wodurch das Geſpraͤch auf
Napoleon kam, und welch ein Gefuͤhl die Madame
Laͤtitia muͤſſe gehabt haben, ſich als Mutter ſo vieler
Helden und einer ſo gewaltigen Familie zu wiſſen. Sie
hatte Napoleon, ihren zweyten Sohn, geboren als ſie
achtzehn Jahr alt war und ihr Gemahl dreyundzwanzig,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/279>, abgerufen am 22.11.2024.
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