angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meister hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich sah. Die Carracci waren zu Lehrern der Kunst wie geboren; sie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits das Beste gethan war, und sie daher ihren Schülern das Musterhafteste aus allen Fächern überliefern konn¬ ten. Sie waren große Künstler, große Lehrer, aber ich könnte nicht sagen daß sie eigentlich gewesen was man geistreich nennt. Es ist ein wenig kühn, daß ich so sage, allein es will mir so vorkommen."
Nachdem ich noch einige Landschaften von Claude Lorrain betrachtet, schlug ich ein Künstler-Lexicon auf, um zu sehen, was über diesen großen Meister ausge¬ sprochen. Wir fanden gedruckt: "Sein Hauptverdienst bestand in der Palette." Wir sahen uns an und lach¬ ten. "Da sehen Sie, sagte Goethe, wie viel man ler¬ nen kann, wenn man sich an Bücher hält und sich dasjenige aneignet was geschrieben steht."
Dienstag, den 14. April 1829.
Als ich diesen Mittag hereintrat, saß Goethe mit Hofrath Meyer schon bey Tisch, in Gesprächen über Italien und Gegenstände der Kunst. Goethe ließ einen Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns diejenige Landschaft aussuchte und zeigte, von der die
angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meiſter hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich ſah. Die Carracci waren zu Lehrern der Kunſt wie geboren; ſie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits das Beſte gethan war, und ſie daher ihren Schuͤlern das Muſterhafteſte aus allen Faͤchern uͤberliefern konn¬ ten. Sie waren große Kuͤnſtler, große Lehrer, aber ich koͤnnte nicht ſagen daß ſie eigentlich geweſen was man geiſtreich nennt. Es iſt ein wenig kuͤhn, daß ich ſo ſage, allein es will mir ſo vorkommen.“
Nachdem ich noch einige Landſchaften von Claude Lorrain betrachtet, ſchlug ich ein Kuͤnſtler-Lexicon auf, um zu ſehen, was uͤber dieſen großen Meiſter ausge¬ ſprochen. Wir fanden gedruckt: „Sein Hauptverdienſt beſtand in der Palette.“ Wir ſahen uns an und lach¬ ten. „Da ſehen Sie, ſagte Goethe, wie viel man ler¬ nen kann, wenn man ſich an Buͤcher haͤlt und ſich dasjenige aneignet was geſchrieben ſteht.“
Dienſtag, den 14. April 1829.
Als ich dieſen Mittag hereintrat, ſaß Goethe mit Hofrath Meyer ſchon bey Tiſch, in Geſpraͤchen uͤber Italien und Gegenſtaͤnde der Kunſt. Goethe ließ einen Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns diejenige Landſchaft ausſuchte und zeigte, von der die
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angeborenen Richtung entwickelt wurde, und Meiſter
hervorgingen, von denen keiner dem andern gleich ſah.
Die Carracci waren zu Lehrern der Kunſt wie geboren;
ſie fielen in eine Zeit wo nach allen Seiten hin bereits
das Beſte gethan war, und ſie daher ihren Schuͤlern
das Muſterhafteſte aus allen Faͤchern uͤberliefern konn¬
ten. Sie waren große Kuͤnſtler, große Lehrer, aber ich
koͤnnte nicht ſagen daß ſie eigentlich geweſen was man
geiſtreich nennt. Es iſt ein wenig kuͤhn, daß ich ſo
ſage, allein es will mir ſo vorkommen.“
Nachdem ich noch einige Landſchaften von Claude
Lorrain betrachtet, ſchlug ich ein Kuͤnſtler-Lexicon auf,
um zu ſehen, was uͤber dieſen großen Meiſter ausge¬
ſprochen. Wir fanden gedruckt: „Sein Hauptverdienſt
beſtand in der Palette.“ Wir ſahen uns an und lach¬
ten. „Da ſehen Sie, ſagte Goethe, wie viel man ler¬
nen kann, wenn man ſich an Buͤcher haͤlt und ſich
dasjenige aneignet was geſchrieben ſteht.“
Dienſtag, den 14. April 1829.
Als ich dieſen Mittag hereintrat, ſaß Goethe mit
Hofrath Meyer ſchon bey Tiſch, in Geſpraͤchen uͤber
Italien und Gegenſtaͤnde der Kunſt. Goethe ließ einen
Band Claude Lorrain vorlegen, worin Meyer uns
diejenige Landſchaft ausſuchte und zeigte, von der die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/153>, abgerufen am 23.11.2024.
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